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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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Verfolgungen ist es den Mädchen beinahe unmöglich, sich zum Schutz dagegen zusammenzutun; und sofern Erwachsene von den Angriffen Kenntnis erhalten, mystifizieren sie sie, d. h. sie geben dem betroffenen Mädchen entweder die Deutung: der Junge hat dich besonders gern, das ist doch schön; oder die Deutung: du bist triebhaft/schamlos und reizt die Jungen dazu auf.
Ihre
Erfahrung, angegriffen zu werden, wird nicht wahrgenommen. Sexuell für
andere
wird das Mädchen nur als Objekt – durch Verhalten oder Merkmale, die für sie selbst keinerlei erotische Bedeutung haben. Für die Väter wird sie in ihrer Kindlichkeit sexualisiert; für Gleichaltrige als jemand, die genötigt werden kann. Im Doppelsinn hat sie das Geschlecht, das nicht eins ist
(Irigaray):
immer schon zwei in der dialogischen Abtrennung von der Mutter, und nicht eines = keins, kein Subjekt von Geschlechtlichkeit für die männliche Kultur.
     

5. Pubertät und widersprüchliche Lebensentwürfe
    Aus der Kleinkindheit tritt das Mädchen heraus mit einer tiefverwurzelten Sicherheit ihres Platzes im Geschlechtersystem, mit einem meist noch starken Selbstwertgefühl, mit einem Bewußtsein ihrer Überlegenheit im Sozialverhalten gegenüber den Jungen, und mit einem ebenfalls tiefen Gefühl, daß ihr Wesentliches vorenthalten wurde, daß sie eigentlich nichts dafür kann, wenn ihr etwas nicht gelingt. Was ihr im Grundschulalter weitgehend fehlt sind die Risikoerfahrungen mit dem eigenen Körper und die Bandenbildung, die für die Entwicklung der Jungen in diesem Alter typisch sind. Sie hat kaum das Bedürfnis, ihren Platz in der Welt durch Mutproben, Eskapaden und Prügeleien zu beweisen, und macht seltener die Erfahrung von Prellungen, Schrammen und kleinen Verletzungen; wenn doch, so sind Erwachsene immer nahe, die Pflästerchen und Trost spenden. Dies ist ja auch der angenehmere Teil, und wenn der Junge nicht solch starken Antrieb hätte, von der Mutter/der Aufsicht fortzukommen, würde er sich das wohl auch gefallen lassen. Der Mangel an Risikoerfahrungen und an Verletzungen (an denen ja auch die Selbstheilungskraft, die Elastizität und Zähigkeit des Körpers erfahren wird) fließt zusammen mit der Sexualisierung als Objekt um dem Mädchen einen „Körperfetisch“ nahezulegen, was auf die Kleidung noch erweitert werden kann. Dinge, bei denen man sich wehtun könnte (oder erweitert: sich schmutzig machen, die Kleider zerreißen könnte), läßt sie dann lieber bleiben. Die Erwachsenen sind meist auch gegen diese Dinge, die anderen Mädchen auch; es fehlt der zusätzliche Antrieb,
trotzdem
auf den Zaun zu klettern, auch wenn man sich dabei zerkratzt. Zudem wird die Gruppe nicht libidinös besetzt, denn es fehlen alle Voraussetzungen dafür. Weder ist die Mädchengruppe psychisch für die eigene Geschlechtsidentität notwendig, noch bietet sie je die Aussicht, der lästigen Erwachsenenkontrolle zu entkommen, Abenteuer zu mehreren auf eigene Faust zu erleben. So bleibt die Gruppe angenehm aber entbehrlich. Gibt es Streit, werden die Mädchen auseinandergehen; die Gruppe kann zerfallen (was auch Piaget schon bemerkt hat), weil sie kein eigenes Objekt libidinöser Besetzung ist (vgl.
Gilligan
1979, S. 435).
    Die Auswirkung des Fehlens der „Bande“ relativ zu den Jungen sind mehrschichtig. Zum einen verstärkt sich, wie in einer Spirale, der Mangel an riskanten Erfahrungen: Das Mädchen bleibt eher dabei, eigenes Wohlergehen zu sichern; sie wird nicht zu Wagnissen angestachelt, die sie sich allein nicht getraut hätte. So baut sich ein Fundament von Angst vor Körperverletzungen auf; und als Kehrseite wird der Sinn fürs Ästhetische ausgebaut. Eine ganz andere Ebene von Folgen trifft im Bereich des Regelspiels ein. Ohne libidinöse Besetzung der Gruppe bleibt die Einübung in formatrechtliche Konfliktlösung aus. Gruppen von Jungen bilden formales Recht relativ spontan (angelehnt an Vorgaben der Kultur, doch aus starkem eigenen Antrieb) heraus, um mit Streit fertigzuwerden, ohne daß die Gruppe daran zerbricht
(Gilligan
1979, S. 435). Für die Mädchen kann der Antrieb zu solcher Juristerei nur schwach sein, da ihnen die Gruppe per se keinen intensiven emotionalen Wert und keinen praktischen Nutzen bietet; es sind die Personen in der Gruppe und nicht die Gruppe selber ihnen wichtig.
    Das Überdauern einer emotionalen Gruppenbindung mit hierarchischer Struktur (bzw. mit innerer Hackordnung) konnte sich Freud nur aus dem unbewußten Motiv der Beseitigung

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