Sozialisation: Weiblich - männlich?
haben aber Lehrer/innen zumeist die Überzeugung, daß mehr Aktivität, Unruhe und (aus der Lehrerperspektive am wichtigsten) Disziplinschwierigkeiten von Jungen zu erwarten sind, so daß hier eine Wahrnehmungsverzerrung möglich wäre.
Die Untersuchungen über Grob- und Feinmotorik sind zu einem großen Teil älteren Datums. Fast alle neueren Untersuchungen mit Kindern im Vorschulalter zeigen keinen Unterschied nach Geschlecht. Die gefundenen Unterschiede bei Kindern im Schulalter hängen offensichtlich von der Art der Aufgabe ab, ob beispielsweise die ganze Hand oder eher nur die Finger gebraucht werden, ob es auf Genauigkeit oder auf Schnelligkeit ankommt.
Insgesamt scheint die Feststellung gerechtfertigt, daß im Schulalter Jungen eher von der Grobmotorik Gebrauch machen, wobei sie auch mehr draußen spielen, sich mehr raufen, und weiter von zu Hause weg gehen dürfen. Mädchen machen von der Feinmotorik unter bestimmten Bedingungen geschickter oder eher Gebrauch. Die Unterschiede sind im Vorschulalter nicht ausgeprägt, falls überhaupt vorhanden, und liegen im Rahmen dessen, was bei unterschiedlicher Übung zu erwarten wäre. Das bedeutet: Unterschiedliche Fähigkeiten müssen ebenso bezweifelt werden wie unterschiedliche Antriebe zur Aktivität nach Geschlecht. Denn die nach Geschlecht unterschiedlichen Aktivitätsangebote bieten Gelegenheit zur Übung, deren Wirkung im Alter von 6 Jahren und darüber ohnehin erkennbar ist, wenn verschiedene Familien oder verschiedene soziale Schichten verglichen werden.
Im Bereich des
Gehorsams
gegenüber Erwachsenen zeigen die meisten Untersuchungen, daß Mädchen im Alter von 2 bis 5 eher bereit sind, Anweisungen (von Müttern, Versuchsleitern) zu befolgen; in den anderen Untersuchungen (insbesondere bei Kindern unter 2 und bei älteren Kindern) wird kein Unterschied festgestellt. Dieses Verhalten wird als zugleich geschlechts- und alterstypisch bewertet werden müssen und entspricht einigen im III. Teil zu besprechenden Thesen über die unterschiedlichen Verläufe der psychischen Ablösung von der primären Bezugsperson.
Furcht
und
Angst
zeigen, wie zu erwarten wäre, unterschiedliche Ausprägungen je nach Anlaß und Situation. Alle Untersuchungen, die Unterschiede feststellen, finden Furcht und Angst stärker ausgeprägt bei Mädchen, jedoch erst ab 8 Jahren; nur sehr wenige Studien finden bei jüngeren Kindern einen Unterschied nach Geschlecht. Diese Untersuchungen basieren durchweg auf Selbsteinschätzungen in Fragebogenform – gelegentlich in besonderen Situationen, die zur Aktualisierung von Ängstlichkeit gedacht sind, meist jedoch ohne diese Begleitumstände. Gerade bei Kindern ist die
Verleugnung
von Angst eine wichtige Bewältigungsstrategie, die oft in Verbindung mit Fantasien von Größe und Stärke oder auch mit Aggressivität (Identifikation mit dem Aggressor) vorkommt. Die Vermutung von Maccoby und Jacklin (1974, S. 189), daß Personen, die sich ihre Angst eher eingestehen, wahrscheinlich sich auch real ängstlicher verhalten, dürfte – zumindest bei Kindern – allenfalls dann zutreffen, wenn Gleichaltrige bei einer „Mutprobe“ zuschauen. Ebenso gut zu begründen wäre die These, daß Kinder, die frei über Ängste sprechen können, sich davon weniger massiv bedroht fühlen und real vielleicht weniger ängstlich sind. Später im Leben dürfte sich dies eher umkehren: Wer seinem/ihrem Selbstbild nach ängstlich ist und bestimmte Situationen jahrelang deshalb meidet, entwickelt schon aufgrund des Erfahrungsrückstandes und auch aufgrund des Selbstbildes eine immer größere Hemmschwelle. Wir können also zusammenfassend feststellen, daß die Bereitschaft, sich als ängstlich zu beschreiben, ab Beginn des Schulalters geschlechtstypisch stärker bei Mädchen ist, können aber keine Schlüsse auf Angst und Furcht ziehen.
Die Erforschung von
„Dominanz“
als Merkmal oder Eigenschaft ist aus der Tradition der Theorien der „Affengesellschaft“ entstanden. Die Affenforschung war lange Zeit von der Ideologie beherrscht, daß die Sozialstruktur einer Affengruppe von der Dominanzhierarchie unter den Männchen bestimmt sein müsse, daß diese wiederum durch Sexualhormone bedingt und für die Fortpflanzung funktional sei, und daß schließlich die Basis der Menschengesellschaft als „reine Natur“ eben in diesen Dominanzbeziehungen zu finden sein werde. Dementsprechend wurde Dominanz ausschließlich als von den Affenmännchen bestimmt gesehen. Erst seit
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