Sozialisation: Weiblich - männlich?
Methode entwickelt, die zwischen Sammelreferat und Sekundäranalyse liegt. Sie prüften ca. 1.600 Untersuchungen, die größtenteils zwischen 1966 und 1973 erschienen waren, nach Themenbereichen gegliedert darauf hin, inwieweit sie Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufweisen, und ob der Unterschied jeweils in die gleiche Richtung weist
(Macoby/Jacklin
1974). Bei einem Unternehmen dieses Umfangs verwundern nicht eigene Fehler (vgl.
Sherman
1975,
Block
1976); auch beschränkten sich die Verfasserinnen schwerpunktmäßig bewußt auf Untersuchungen mit Kindern und Jugendlichen, mit Betonung der jüngeren Altersgruppen.
Die Methode der Summierung der Ergebnisse vieler Untersuchungen, die jede für sich andere Variablen, andere Erhebungsverfahren hatten, ermöglicht vor allem negative Aussagen von begrenzter Reichweite. Hätte entweder die Physiologie oder die Sozialisation deutliche, ausgeprägte Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen hervorgebracht, so hätten diese inzwischen gut dokumentiert sein müssen. Wenn aber bei 24 Untersuchungen 3 eine Überlegenheit der Mädchen, 6 eine Überlegenheit der Jungen, und der Rest keinen signifikanten Unterschied ausweisen (dies ist etwa die Lage hinsichtlich Konkurrenzverhalten), so kann man schlußfolgern, daß ein eindeutiges Muster geschlechtstypischen Verhaltens nicht vorliegt. Allenfalls könnten wir vermuten, daß komplexe Bedingungen dazu führen, daß manche Personen sich stärker konkurrent verhalten als andere, und daß das Geschlecht zusammen mit anderen Bedingungen eine Bedeutung haben kann. Aber weder das Vorurteil, daß verschiedene Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen angeboren sind, noch die gängige Verallgemeinerung, die von einer geschlechtstypischen Konditionierung des Verhaltens schon im Vorschulalter spricht, ist mit einer derartigen Forschungslage vereinbar.
Maccoby und Jacklin neigen eindeutig zu der „Nullhypothese“ (daß keine Geschlechtsunterschiede bestehen) in den meisten Bereichen. Umstritten ist ihre Schlußfolgerung vor allem in den Bereichen, wo mehr als die Hälfte der Untersuchungen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigen, diejenigen aber, die einen Unterschied finden, alle oder fast alle in die gleiche Richtung weisen. Diese Kontroversen sind in der Tat kaum entscheidbar, ohne auf die Vor- und Nachteile der Methoden der einzelnen Untersuchungen einzugehen, was im Sammelreferat zumeist nicht leistbar war.
So kommt es dazu, daß bei den deutschsprachigen Referaten über den Forschungsstand (unter Ausklammerung der kognitiven Fähigkeiten) etwa
Degenhardt
(1979) sieben Bereiche nennt, in denen es „eindeutige Geschlechtsunterschiede“ gäbe,
Merz
(1979) drei und
Keller
(1979) nur einen (nämlich aggressives Verhalten). Klärend wäre vielleicht festzustellen, daß Bereiche, in denen über die Hälfte der Untersuchungen keinen Unterschied feststellen, wohl kaum als „geschlechtstypisches Verhalten“ im Sinne der Definition von Degenhardt (s.o.) gelten könnten, da die Variation innerhalb eines Geschlechts offensichtlich relativ zu der Differenz zwischen den Mittelwerten der Geschlechter groß ist. Es könnten Unterschiede in der Häufigkeitsverteilung von Merkmalen zwischen den Geschlechtern dennoch bestehen, oder es kann Konstellationen von Bedingungen geben, deren Zusammentreffen das Erscheinen eines Verhaltens bei dem einen Geschlecht wahrscheinlicher machen. Das Geschlecht wäre dann einer von mehreren relevanten Faktoren, hätte jedoch für sich genommen keine eindeutige Wirkung. Dafür spricht, daß Untersuchungen, die Unterschiede nach Geschlecht aufweisen, in den höheren Altersstufen eher zunehmen.
Hinsichtlich der
Motorik
und des
Aktivitätsniveaus
ist' die Meinung verbreitet, daß männliche Kinder aktiver sind: eher die 'Grobmotorik in Bewegung setzen, sich mit mehr Energie und weiter ausgreifend bewegen. Die von Maccoby und Jacklin referierten Untersuchungen zeigen keine Unterschiede im ersten Lebensjahr, und die große Mehrzahl der Untersuchungen weist auch keinen Unterschied bis zum Alter von 6 Jahren aus. Eine neuere Untersuchung (Teil einer Langzeitstudie) findet auch bis ca. 4 Jahre keinen Unterschied
(Feiring/Lewis
1980). Erst die Erhebungen mit Kindern im Schulalter finden Geschlechtsunterschiede oft genug, um allgemeinere Tendenzen zu vermuten; die Datenbasis für diese Studien ist jedoch meist die Einschätzung von Lehrer/innen, selten direkte Beobachtung. Wie
Clarricoates
(1978) zeigt,
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