Sozialisation: Weiblich - männlich?
kurzem wird eine andere Blickrichtung erkennbar, die mit sorgfältigen Studien diese Tradition in Frage stellt: in nicht wenigen Affengesellschaften sind es die Weibchen, die die Hierarchie bzw. die sozialen Zusammenhänge eher bestimmen
(Tavris/Offir
1977, S. 98f.;
Haraway
1978).
Mit der Infragestellung der Affenperspektive stellt sich nun die Frage, inwieweit Dominanz eine erkennbare Eigenschaft bei Menschen ist. Ein Teil der Untersuchungen beruft sich unmittelbar auf affenähnliche Hierarchien, indem Kinder aufgefordert werden, sich und andere in eine Hackordnung einzureihen. Es bleibt dabei unklar, inwieweit die Kinder etwas anderes als Aggressivität dabei werten. 1 Andere Untersuchungen stellen Kindern eine kooperative Aufgabe (zusammen ein Bild zu malen) und beobachten, welches Kind dabei stärker den Ablauf bestimmt; noch andere Untersuchungen bieten eine Belohnung dafür an (oder beobachten), daß Kinder sich
gegen
andere durchsetzen (sie sollen z. B. andere dazu überlisten oder überreden, bitter schmeckende Kräcker zu essen). Schließlich werden Lehrereinschätzungen erbeten, welche Kinder „Anführer“ in der Klasse sind. Die tabellarische Auflistung all dieser Untersuchungen zeigt zwar, daß in den meisten Fällen das, was als „Dominanz“ definiert wurde, bei Jungen stärker ausgeprägt war als bei Mädchen. Es sind aber dabei offensichtlich sehr unterschiedliche Verhaltensweisen zusammengefaßt, die selbst innerhalb der gleichen Untersuchung nicht unbedingt miteinander korrelieren. Untersuchungen von Kindern im Vorschulalter zeigen wenige Unterschiede, und wenn vorhanden, fallen sie z. T . zugunsten der Mädchen aus.
Von der Praxis her beobachtet ist es leicht zu sehen, daß Jungen etwa ab Vorschule/Einschulung sehr stark der Vorstellung anhängen, daß sie qua Geschlecht mehr „zu bestimmen“ haben müßten als Mädchen. Mit einem Unterschied in Richtung auf Dominanz der Jungen ist also durchaus etwas Reales angesprochen. Nur scheint dies ein Phänomen, das vor allem gruppenmäßig erlebt und durchgesetzt wird, nicht so sehr eine Eigenschaft einzelner Individuen. Die unklare Beweislage der Dominanzforschung dürfte aus der unzulässigen Übertragung der Affenforschung auf Menschen herrühren, die eine soziale Beziehung (Dominanz/Herrschaft) als individuelles Merkmal zu fassen versucht.
Nahezu alle Autoren sind sich einig, daß
Aggression
bei männlichen Individuen aller Altersstufen stärker ausgeprägt ist als bei weiblichen Individuen. Maccoby und Jacklin referieren fast hundert Studien zu diesem Bereich. Davon sind aber immerhin nur wenig mehr als die Hälfte, die mehr aggressives Verhalten bei Jungen/Männer aufzeigen; bei 40 % wird kein Unterschied gefunden
(Block
1976, S. 305) – dies sind allerdings oft Teiluntersuchungen, die getrennt aufgezählt werden, während ein anderer Teil der selben Untersuchung einen Unterschied schon aufweist. Maccoby und Jacklin waren von der Geschlechtstypik des aggressiven Verhaltens so beeindruckt, daß sie die Vermutung äußerten, sie sei biologisch verursacht. Diese Auffassung ist z. T. recht unkritisch übernommen worden (z.B.
Schenk
1979).
Tieger
legte 1980 eine ausführliche Gegenposition vor, die nicht nur auf die verschiedenen Argumente eingeht, sondern auch eine Neuberechnung der statistischen Wahrscheinlichkeiten für die vorliegenden Daten über aggressives Verhalten bei Jungen bis zu 6 Jahren vornimmt. Er kommt zu dem Schluß, daß die Argumente für eine biologische Verursachung nicht haltbar sind, und daß keine statistisch überzeugenden Belege dafür vorlägen, daß in der Altersgruppe bis zu 6 Jahren männliche Kinder signifikant aggressiver seien.
Ihre Replik zu Tieger haben
Maccoby/Jacklin
(1980) dazu genutzt, ihren Forschungsüberblick im Bereich aggressiven Verhaltens auf den neuesten Stand zu bringen und zudem noch genauere statistische Berechnungen vorzulegen. In diesem Beitrag haben sie – anders als 1974 – Untersuchungen weggelassen, die alle Formen von Schubsen, Boxen, etc. zusammengefaßt hatten, ohne zwischen spielerischem Raufen und böser Absicht zu unterscheiden. Soweit möglich haben sie also nur Untersuchungen ausgewertet, die Aggression im Sinne einer Absicht, weh zu tun, gefaßt hatten. In diesem wesentlich umfassenderen und genaueren Beitrag gelangen Maccoby und Jacklin noch einmal zu dem Schluß, daß ab ca. 2 1/2 Jahren aggressives Verhalten signifikant häufiger bei männlichen Kindern vorkommt. Hinsichtlich
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