Späte Familie
ist für jeden eine Qual, und trotzdem machen wir weiter, wir wollen nicht aufdie kleine Chance verzichten, dass es diesmal etwas Richtiges sein könnte, etwas, das alle Mühsal rechtfertigt. Du bist nicht die Richtige für mich, Ella, und trotzdem mache ich mir etwas aus dir, und ich sage dir, du bist erst am Anfang des Weges, und dieser Weg wird immer unangenehmer. Du musst wissen, was dir bevorsteht, du musst dich an diesem Spiel beteiligen, denn es ist deine einzige Chance, jemanden zu finden, ich weiÃ, dass ich dir nicht gefallen habe, aber es könnte sein, dass alle, die du zukünftig treffen wirst, dir noch weniger gefallen werden als ich, also dann, er schüttelt sich, gute Nacht, und schon verlässt er mich auf seinen dünnen Beinen und verschwindet in dem schwarzen Jeep, der auf dem Gehweg geparkt ist und den Eingang zum Café fast versperrt.
Verlegen und überrascht schaue ich ihm hinterher, zerdrücke, ohne es zu merken, den Geldschein in meiner Hand, soll ich ihn zurückrufen, soll ich versuchen, das Treffen noch einmal neu zu beginnen, nein, das ist es nicht, wozu dieser Abend bestimmt ist, ich setze mich auf das feuchte Mäuerchen auf der anderen StraÃenseite, dem Café gegenüber, und beobachte den Geburtstagstisch, als würde ich mir einen Stummfilm anschauen, Jotams triumphierendes Wandern von den Knien seines Vaters zu den Knien seines GroÃvaters und seiner GroÃmutter, das Gesicht seiner Schwester, von Neid gerötet, die Worte, die gerade zu mir gesagt worden sind, sinken mir zu FüÃen, gültig und gegenwärtig, störend wie ein Jucken, aber sie sind es jetzt nicht, in die ich mich versenke, ich schiebe meine Hände in die Manteltaschen und habe vor, die traurige Möglichkeit, die sich mir zufällig bietet, das Verhalten einer vollständigen Familie zu beobachten, bis zum Letzten auszunutzen, so wie man an einem schönen Tag in den Zoo geht, ich betrachte jetzt keine Tonscherben, sondern Menschen, die vieleher verschwinden werden als das Geschirr, von dem sie essen.
Die GroÃmutter mit silbern glänzenden kurzen Haaren, der GroÃvater ein bisschen schwerfällig, mit entspannten Gesichtszügen, den Farben nach zu urteilen, sind sie Michals Eltern, und ich frage mich, wo seine Eltern sind, ob er vielleicht eine Waise ist, ich achte vor allem auf ihn, auf sein hartes und trotzdem zerbrechlich wirkendes Profil, jetzt bemerkt er, dass seine Tochter sich ärgert, und bietet ihr seine Knie an, was für ein herausfordernder Stolz strahlt aus ihrem Gesicht, als er sie umarmt, als würde sie gekrönt, seine dunklen Lippen auf ihren honigfarbenen, mit einer Spange zusammengehaltenen Haaren, jetzt flüstert sie ihm etwas ins Ohr, und beide lächeln, die Geheimnisse eines schönen Mädchens in einem lilafarbenen Pullover, lasst sie mich auch hören, plötzlich packt mich eine kindische Eifersucht, als wäre ich so alt wie sie, nicht auf seine Frau bin ich eifersüchtig, sondern, was viel verwirrender ist, auf seine Tochter, plötzlich empfinde ich ein heftiges Versäumnis, ein Gefühl, das den Schmerz über den Zerfall meiner Familie vollständig überlagert. Ein Schmerz aus jener Zeit, bevor ich ein Kind hatte, reiÃt ein Loch vor mir auf, als ob es das wäre, was ich jetzt brauche, keinen Partner, keine heile Familie, sondern einen Vater, der mich auf die Knie nimmt, und ich gehe auf meinen vor Kälte steifen Beinen den Gehweg entlang, im Schnee, der zu einem wässrigen Abfall geworden ist, und schaue dann erneut über die StraÃe. Meine Augen konzentrieren sich diesmal auf Michal, ihre zusammengebundenen Haare betonen die angenehmen Linien ihres Gesichts, das in der letzten Zeit schwerer geworden zu sein scheint, sie sieht jetzt etwas älter aus als ihr Mann, seine Magerkeit betont ihre Fülle, ihre Hände beschäftigen sich mit Jotams Teller, vermutlich schneidet sie sein Schnitzel inWürfel, wie alle Mütter, jetzt sagt sie etwas zu ihrem Mann, was mag es sein, warum antwortet er ihr nicht, sie sitzen einander gegenüber, der Stuhl, den das Mädchen frei gemacht hat und den niemand besetzt, trennt sie, aber nun antwortet er ihr und sie lächelt ihm kurz zu, sie kräuselt die Lippen in seine Richtung, eine Gabel voller Essen, von dem ich nicht erkennen kann, was es ist, wandert von seinem Teller in ihren Mund, sie isst vorsichtig, nickt. Einer von ihnen ist
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