Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
Realität überholen, sie hätten dem langhaarigen jungen Mann all den Zauber zugesprochen, den ich brauchte, aber angenommen, er würde mich jetzt ansprechen, was könnte ich ihm sagen, dass ich frei bin oder was es ist, das mich mit verspäteter, überflüssiger Treue an meinen Ehemann fesselt, ist es das Kind, die Vergangenheit, gibt es überhaupt einen Weg zurück zu jener Existenz, ich wäre gerne ein junges Mädchen, würde gerne jung sein, ein bitteres, spöttisches Lächeln steigt auf meine Lippen, und er bemerkt es und lächelt mich an, über den geheimnisvoll im Dunkeln liegenden Erdteil hinweg, der sich unter uns erstreckt und atmet wie ein Tier.
    Diese Reise ist ein Geschenk des Himmels, hat Dina gesagt, du wirst andere Luft atmen, andere Menschen treffen, und ich hatte vergessen, dass sie immer näher rückte, es war schon so lange her, dass der Termin vereinbart worden war, das Programm gedruckt, das Hotel bestellt, es wird mich immer überraschen, wie die Zeit sich vorwärts bewegt, wie ein riesiger Pflug, der auf seinem Weg Felsen zermalmt, Berge verschlingt, Kontinente ausspuckt, das schlimmste Leid wird ihn nicht aufhalten, das wildeste Glück wird ihm nicht den Weg versperren, und mir fällt ein, dass ich damals zu Amnon gesagt hatte, vielleicht sollten wir zu dritt fahren, und er antwortete bitter, vielleicht sollten wir zu zweitfahren, und nun reise ich allein, wie ich ab jetzt immer allein reisen werde, und auch die Sehnsüchte verändern sich wie die flauschigen Wolken, die sich am Fenster zerdrücken. Es ist nicht nur die Sehnsucht nach dem kleinen Kind, das sich so anschmiegt, dessen Anwesenheit mir eine himmlische Ruhe schenkt, sondern auch nach dem Jungen, der ohnehin schon nicht mehr so nah ist, wie er es einmal war, von dem ich vergessen habe, wie sein neues Zimmer aussieht, von dem ich die Hälfte seines Spielzeugs nicht kenne, und wenn ich mich bücke, um ihm einen Kuss zu geben, muss ich jene andere Hälfte wegscheuchen, wie man eine Mücke oder eine Wespe wegscheucht, und sogar wenn er im Bett liegt und schläft oder in der Badewanne sitzt, umgeben von Schaumbergen, oder im Wohnzimmer auf dem Teppich spielt, begleitet ihn diese zweite Existenz, auf die ich keinen Einfluss habe, in der ich immer eine Fremde sein werde, und vielleicht ist das der Grund dafür, dass mich hier, über dem leer gegessenen Tablett, die Sehnsucht mit solcher Gewalt packt, denn mir ist plötzlich klar, dass ich das, was mir wirklich fehlt, nicht automatisch mit meiner Rückkehr bekommen werde, ich werde mich immer nach ihm sehnen, nach dem Jungen, der er vor der Trennung war, weicher, engelhafter, unschuldiger, behüteter, glücklicher.
    Wir folgen heute Abend den Spuren der Sonne wie Ritter, die nie müde werden, begleiten ihren endlosen Untergang, im Meer unter uns scheinen Tausende von Schafen zu versinken, sie schweben und werden immer blauer, ihre lockige Wolle saugt allmählich die Farbe des Meeres auf. Schau nur, würde ich zu ihm sagen, die Himmelswüste entzündet sich, nur der Mond, der plötzlich durch das Fenster schaut, erstaunt durch seine Beständigkeit, er sieht genauso aus wie von der Erde aus, wie von unserem Balkon in Jerusalem, und ich weiß, dass die bläulichen Schäfchenwolkenmir jetzt den Blick auf Thera versperren, die hohle halbmondförmige Insel, die im Herzen des Meeres auseinander brach und die antike Welt erschütterte, bis in das ferne Ägypten war das Echo der Erschütterung zu spüren, sie überschwemmte Städte und Inseln und begrub unter sich ein Reich der Wunder mitten im Mittelmeer, den Palast mit seiner Pracht, die einen erschauern ließ, mit Hunderten von Räumen, die wunderbaren Wandmalereien, die Muscheln, Polypen und Delfinen, die geflügelten Cherubim, die gemalten Gestalten, die die Besucher von Zimmer zu Zimmer begleiten, und unter ihnen die Pariserin mit ihrem kalten, hochmütigen Blick, als hätte sie gewusst, dass sie Tausende von Jahren bewahrt bleiben würde.
    Komm mit mir nach Thera, sagte er, ich muss dir eine Frau aus Akrotiri zeigen, und hast du den Palast in Knossos schon gesehen? In diesem Moment wusste ich, dass wir dort gleich nach der Hochzeit hinfahren würden, in das neue Pompeji, aber ich konnte nicht wissen, dass ich, während er sich beim Gang über die schwarzen Klippen für die entstellte Schönheit der Insel

Weitere Kostenlose Bücher