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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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wir heiraten nicht, aber er bringt mich sofort zum Schweigen, mit einer abschätzigen Handbewegung, seine Zinnaugen sind kalt, hör zu, Ella, ich kenne dich besser, als du denkst, du hast alle paar Jahre Anfälle von Selbstzerstörung, bisher war das deine Angelegenheit und ich habe mich nicht eingemischt, aber jetzt geht es auch um Gili. Ich betrachte mich als Gilis Bevollmächtigten, und ich sage dir, dass der Junge eure Trennung nicht ertragen wird, und wenn du mich zwingst, es auszusprechen, bitte, der Junge wird das nicht aushalten, er wird nicht überleben, er wird ausgelöscht werden.
    Ausgelöscht, flüstere ich, weißt du überhaupt, was du da sagst? Er setzt endlich, endlich seinen nackten Fuß auf den Boden, der schwarz-weiß gefliest ist wie ein Schachbrett, ich habe keine Wahl, ich muss deutlich mit dir sprechen, es geht hier um Leben und Tod, Ella, du suchst das Glück, er spuckt das Wort aus, als handelte es sich um etwas Ekliges, eine bittere Lüge, das einzige Glück entsteht aus deinen Verpflichtungen der Familie gegenüber, die du gegründet hast, und glaube ja nicht, dass ich deine Gefühle missachte, wenn du, Gott behüte, einen brutalen Ehemann hättest, würde ich dir raten, ihn zu verlassen, ich würde dir jede Hilfe anbieten, aber ich kenne Amnon, ich kann mir vorstellen, um welche Probleme es sich handelt. Das ist Verwöhntheit, er hebt die Stimme, das ist nur die unerträgliche Verwöhntheiteurer Generation, und du wirst einen schrecklichen Preis dafür bezahlen müssen, verstehst du, was ich dir zu sagen versuche, oder muss ich noch deutlicher werden?
    Es ist schon spät, ich muss Gili vom Kindergarten abholen, ich unterbreche ihn, als wäre es nur der Zeitmangel, der zwischen uns steht und uns daran hindert, das Gespräch fortzusetzen, und als ich schon stehe, spüre ich plötzlich, wie ein Zittern durch meine Beine fährt, und habe das Gefühl, als würden die Wände des Zimmers schwanken und die Bücherregale über mich herfallen und mich mit ihren giftigen, von gelehrtem Staub bedeckten Fingern festhalten, zwischen seinen Büchern werde ich heute begraben sein, unter den dicken Steinwänden, und wer wird dann den Jungen abholen? Diese alltägliche Aufgabe scheint plötzlich eine ganz außergewöhnliche Bedeutung zu haben, den Jungen rechtzeitig abzuholen, bevor eine Katastrophe passiert, und ich bewege mich auf die Zimmertür zu, als ginge es um mein Leben, und er verfolgt mich, er lässt nicht locker, versprich mir nur, dass du ernsthaft über meine Worte nachdenkst, sie sind lebenswichtig, schreit er mir nach. Ich öffne schnell die Tür zum Flur und schlage sie meiner Mutter an den Kopf, die gebückt an der Wand lehnt und aufmerksam gelauscht hat, was hat er von dir gewollt, fragt sie flüsternd, mit ängstlicher Stimme, bietet mir ihre leichtgewichtige Empathie, und ich, unfähig, nur einen Moment länger hier zu bleiben, sage, wir sprechen später, Mama, ich muss schnell zum Kindergarten.
    Wieso Kindergarten, er ist doch in der ersten Klasse, schimpft sie, als hätte sie mich bei einem schrecklichen Fehler ertappt, wieso sagt sie Kindergarten, höre ich sie erstaunt zu meinem Vater sagen, bevor er zu seinem großen Schreibtisch zurückgeht, und mir kommt es vor, als würden sich all ihre Vorwürfe in dieser Nebensächlichkeit zusammenfinden,wieso Kindergarten, er ist doch schon in der ersten Klasse.
    Geschlagen gehe ich die Treppe ihres Hauses hinunter, wie eine Gefangene, die zu spät geflohen ist und bereits die Fähigkeit verloren hat, sich an der Freiheit zu erfreuen, das nackte Geländer, das der Sonne ausgesetzt ist, brennt unter meinen Fingern, aber ich lasse es nicht los, eine Stufe nach der anderen gehe ich hinunter, und auf der letzten sinke ich zusammen, lege die Arme um meine Knie, die Angst schwillt in mir an, das Gefühl der Katastrophe ist so real, als wäre sie schon eingetreten, in dem Moment, als er die Drohung aussprach, mit seinen bläulichen Lippen, deine Katastrophe ist gewiss und an deinem Glück lässt sich zweifeln, und ich lege den Kopf auf meine zitternden Knie und das Tageslicht scheint mir vor den Augen zu verlöschen, Trauer senkt sich über mich.
    Am Gehweg gegenüber hält geräuschvoll ein Taxi, sein Hupen mischt sich mit dem fernen Heulen einer Sirene, ich stehe schwerfällig auf. Sind Sie frei,

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