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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Grün gestrichen ist, als wäre es von Anfang an nicht zum Schutz meines Sohnes bestimmt, sondern um mich von ihm zu trennen, ich taxiere es, wie man einen Gegner taxiert, bevor man ihn schlägt, ich habe keine Wahl, ich muss es besiegen,ich werde nicht warten, bis die lange Runde des Wachmanns zu Ende ist, ich schaue mich um, vergewissere mich, dass niemand zusieht, steige mit dem Fuß auf den Griff und halte mich an den Stäben fest.
    Es ist erstaunlich leicht, auf das Tor zu steigen, eine starke Hand scheint mich an den Haaren zu packen und hinaufzuziehen, und schon bin ich oben, zu meinem Verdruss steht unten jetzt ein junges Mädchen, seine Haare sind blond und lockig, es schaut überrascht und amüsiert zu mir herauf, ich ignoriere es, hebe den Fuß vorsichtig über das Tor, aber dort, auf Gilis Seite, gibt es nichts, woran ich Halt finden könnte, keinen Vorsprung, es ist zu hoch und zu glatt, und ich weiß mir nicht zu helfen, eine zusätzliche, unüberwindbare Hürde ist zwischen uns aufgebaut, mein Sohn, vielleicht würde ich den Rückweg antreten, wenn ich kein Publikum hätte, wenn da unter mir das junge Mädchen nicht wie angewurzelt stünde und wartete, geduldig, genau wie es auf dem Schild steht, und ich beschließe, vorläufig auf meinem Platz zu bleiben, als wäre ich nur aus Spaß heraufgestiegen, um einen Blick auf den vernachlässigten Hof zu werfen, und so betrachte ich von meinem Aussichtspunkt aus das Schulgelände, sehe sogar den alten Wachmann, der langsam auf das Tor zugeht, erfüllt von seinem Auftrag, denn schließlich liegt die Sicherheit Hunderter Kinder in seinen Händen, ich winke ihm liebenswürdig zu, damit er sich nicht in mir täuscht und mich mit seiner Waffe bedroht.
    Der Anblick meiner Gestalt auf dem Tor unterbricht seine gemächliche Patrouille, er kommt schnell auf mich zu, mit wackelndem Bauch, mit missbilligend erhobenen Händen, sagen Sie, sind Sie verrückt, oder was, schreit er stotternd, können Sie sich denn nicht gedulden, da steht es doch, und ich halte mich an den Stäben des Tores fest, es tut mir wirklichLeid, ich habe es schrecklich eilig, ich habe ein Baby allein zu Hause gelassen, und ich muss meinen großen Sohn abholen, aber mir scheint, dass diese verzweifelte Ausrede seinen Zorn nur noch steigert, wer lässt schon ein Baby allein zu Hause, schimpft er, alle hier sind verrückt, wegen meines Vergehens fällt er ein Urteil über alle Eltern, es sieht so aus, als würde er mich als Strafe für diese allgemeine Verwahrlosung hier auf dem Tor hängen lassen, zwischen Himmel und Erde, ewiger Schande preisgegeben. Mit offenem Abscheu schüttelt er den Kopf, öffnet langsam und bedächtig das Schloss, lässt das junge Mädchen durch das Tor gehen, es schreitet erhobenen Hauptes, als wäre dies der endgültige Beweis dafür, dass Geduld sich auszahlt, und ich versuche, genauso hinunterzusteigen, wie ich hinaufgestiegen bin, mein Fuß tastet blind nach dem Griff, rutscht darauf aus, und ich falle auf den glühend heißen Asphalt des Gehwegs, knapp neben einen Kinderwagen.
    Auch wenn ich mir wehgetan habe, ich werde es ihm nicht zeigen, mühsam richte ich mich auf, klopfe meine Kleidung ab, lächle den Wachmann freundlich an, als hätte ich diesen Absprung von vornherein so geplant, als wäre ich nur dafür auf das Tor geklettert, ich versuche, mich mit Eleganz zu bewegen, wenn ich den Schmerz leugne, wird er verschwinden, Hauptsache, ich bin drinnen und werde Gili gleich retten, mit Mühe steige ich zu dem Klassenzimmer im Kellergeschoss hinunter, dort werde ich von den hellen Mangolocken empfangen, die ich vorher von oben gesehen habe, es ist wieder dieses junge Mädchen, ich werde wütend, was sucht sie hier, ich habe gehofft, sie nie mehr zu treffen. Aus der Nähe sieht sie nicht mehr so jung aus, auch nicht so klein, wie sie von oben gewirkt hatte, sie ist kein junges Mädchen, sondern eine Mutter, deshalb werde ich sie nun jeden Tag sehen müssen, sie betrachtet mich mit amüsierterNeugier und bedeutet mir mit einem Blick auf die geschlossene Klassentür, sie sind noch nicht fertig.
    Aber ich habe heute schon bewiesen, dass ich mich von verschlossenen Türen nicht aufhalten lasse, ich stoße die Tür mit Gewalt auf, Dutzende von Augen wenden sich mir zu, seine herbstlaubfarbenen Augen unter dem Zauberhut erkenne ich

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