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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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brauche keine anderen.
    Arm in Arm gehen wir durch die dunklen Straßen, gewöhnen uns jeder an die Dimensionen des anderen, seine Schulter ist mir näher als Amnons Schulter, die sich schwer und drohend über mich erhoben hat, sein Körper ist knochiger, gesammelter, respektiert die Grenzen des anderen, beachtet seine eigenen. Es ist, als würden sich seine Schritte plötzlich verlangsamen, als er zögernd fragt, macht es diretwas aus, wenn wir uns eine Weile hier hinsetzen? Ich schaue mich erstaunt um, ich habe nicht gemerkt, wohin mich seine Schritte geführt haben, auf einmal sind wir an dem kleinen Spielplatz gegenüber seiner früheren Wohnung, und ich frage, wie sind wir überhaupt hierher gekommen, und er sagt, meine Füße sind daran gewöhnt, hierher zu gehen, und ich nehme diese Erklärung misstrauisch an, setze mich mit ihm auf das kleine Karussell, das unter uns quietscht, als wäre es überrascht, in dieser kalten Nacht derart erwachsene Kinder aufzunehmen, und wie er betrachte ich das Gebäude gegenüber, dieses prachtvoll renovierte Haus mit den heruntergelassenen Rollläden, durch deren Ritzen jedoch häusliches Licht dringt, Ritze um Ritze, wie die leeren Zeilen des Goldenen Heftes.
    Ich werfe ihm einen beunruhigten Blick zu, was machen wir hier, Oded, ich habe gedacht, wir gehen nach Hause, und er sagt, noch ein bisschen, dann gehen wir nach Hause, ich muss noch eine Weile hier bleiben, und ich frage, warum, worauf wartest du? Ich warte, bis die Kinder eingeschlafen sind, sagt er, jeden Freitagabend sitze ich hier, bis sie das Licht ausmachen, es klingt beiläufig, als sei das völlig normal, und ich setze mich verwirrt und zornig neben ihn, gegen meinen Willen beteiligt an einem privaten erdrückenden Ritual, das meinen schlummernden Schmerz weckt und sofort seinen Tribut fordert, sein Pfund Fleisch verlangt. Vielleicht werden wir, wenn wir seine Angelegenheiten hier erledigt haben, zu Amnons Straße gehen und uns gegenüber den beiden kräftigen Palmen auf die Bank setzen und dort die Ritzen der Rollläden betrachten, und schon steigt Bitternis in meiner Kehle auf, warum beschwert er unsere junge Beziehung mit dem Ritual seiner Erinnerung, warum unterscheidet er nicht zwischen frischer Liebe und frischer Trauer, und ich senke den Blick zu dem rostigen Metallboden, einmalwar ich hier mit Gili, und ein Junge, größer als er, hat das Karussell zu schnell gedreht, und mein Sohn fing plötzlich an, sich zu erbrechen, genau hier, zu unseren Füßen, wir sind sofort weggegangen und monatelang nicht zurückgekommen.
    Ella, sagt er und legt seine kalte Hand auf mein Knie, mach dir keine Sorgen, du bist nicht der Grund, und ich flüstere, ja, ich weiß, und trotzdem weckt die Schweigeminute vor dem Haus seiner Kinder gegen meinen Willen einen durch sein Ausmaß erschreckenden Groll in mir. Ich sitze jeden Freitagabend eine Weile hier, erklärt er noch einmal, ich wollte heute darauf verzichten, aber eigentlich gibt es keinen Grund dafür, nicht wahr, fragt er drängend, sag mir, dass du es aushältst, und ich frage, was, und er sagt, meine Trauer, und ich schaffe es nicht, mich zu beherrschen, verschanze mich hinter der Kränkung, ich habe gedacht, du wärst heute glücklich mit mir gewesen, ich habe gedacht, es ist dir gut gegangen, fauche ich, und er nimmt enttäuscht die Hand von meinem Knie, natürlich ist es mir gut mit dir gegangen, sagt er müde, aber unser Körper ist eine Herberge für viele, in einem Stockwerk leben das Glück und die Zufriedenheit, in einem anderen die Trauer und die Schuld, das musst du doch verstehen. Natürlich verstehe ich das, sage ich schnell, und trotzdem frage ich mich insgeheim, ob es für unsere Kinder richtig ist, das zerbrochene Glas unter dem Hochzeitsbaldachin zu sein, die Erinnerung an die Zerstörung des Tempels, und ich stehe von meinem engen kalten Sitz auf, so dass die Scharniere des zur Seite geneigten Karussells knirschend seufzen, und sage, komm, Oded, gehen wir, mir ist sehr kalt, und er schaut mich enttäuscht an und protestiert, aber sie sind noch nicht schlafen gegangen, und ich hebe den Blick hinauf zu dem Balkon, zu den Rollläden, die den vaterlosen Schabbatabend beschützen.
    Na und, sage ich, du kannst sie von hier unten sowieso nicht schlafen legen, du kannst ihnen von hier unten keine Gutenachtgeschichte vorlesen, sie wissen

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