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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Schultor hält ein prachtvoller Jeep, und ein gut aussehender Mann steigt aus, langsam, obwohl es doch schon spät ist, er hebt ein hübsches kleines Kind heraus, dannnoch einen Jungen, den ich kenne, beide Kinder haben die schönen Augen ihrer Mutter, ich laufe schnell zu ihnen hinüber, wie geht es Keren, ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, sage ich zu ihrem Mann, und plötzlich zweifle ich, ob er es überhaupt ist, so viel dunkler ist sein Gesicht seit jener Schabbatfeier zu Beginn des Schuljahres geworden.
    Nicht so gut, antwortet er mit düsterer Miene, sie ist krank, und ich frage erschrocken, ist es etwas Ernstes? Er schaut mich an, als kämpfe er mit sich, unsicher, ob er es mir sagen soll, dann bricht es aus ihm heraus, ja, leider, und sofort verschwindet er durch das Tor, seine Kinder an den Händen, die mich mit besorgten blauen Augen angeschaut haben, und ich versuche, mich zu erinnern, wann ich Keren das letzte Mal gesehen habe, ob es damals war, als sie sich neben uns auf den Rasen gesetzt hat, ich habe in der letzten Zeit überhaupt keinen Appetit, ich kriege nur mit Mühe etwas herunter, sagte sie damals, sie fuhr sich durchs Haar, ihre Haut war gelblich, sie sprach über die Sicherheit unserer Kinder, machte sich Sorgen über die Anzahl der Wachmänner in der Schule, und ich frage mich, wer sie die ganze Zeit bewacht hat, ein beschämendes Bewusstsein meiner Gesundheit packt mich, und ich nehme meinen Stock und gehe weiter. Orna hat sich geirrt, man fühlt Gesundheit doch, und die habe ich noch nicht verloren, soweit ich weiß, und vielleicht schaffe ich es ja auch irgendwann, Liebe zu fühlen, und nicht nur ihren Verlust, und ich wende dem Rabenpark den Rücken zu, laufe rasch zu der Adresse, die in meinem Notizbuch steht, die morgendliche Kühle verschwindet langsam aus den Straßen, macht einer zaghaften Frühlingssonne Platz, der noch nicht zu trauen ist.
    Das muss das Haus sein, eine dicke Frau steht im Eingang und tippt eine Nummer in ihr Telefon, das Handy inmeiner Tasche klingelt, aber ich ignoriere es, ich gehe an der Frau vorbei, als wartete sie nicht auf mich, um mir an diesem Morgen einige Wohnungen in dieser Gegend zu zeigen, die groß genug sind für meine Bedürfnisse und die ich mir leisten kann, eine Wohnung für zwei Personen, und erst als ich weit genug entfernt bin, rufe ich die Frau an, ich kann heute nicht, ich muss leider absagen, vielleicht ist diese Flucht auch eine Flucht vor dem Urteil, das schon gefallen ist, und was werde ich Gili sagen, wie werde ich ihm einen weiteren Umzug erklären, aber die Zeit für diese Fragen scheint noch nicht gekommen zu sein, denn jemand, der vor den Flammen um sein Leben rennt, kann nicht innehalten und über seine Handlungen nachdenken, und schon bin ich an der Kreuzung, die Autos kreisen den Platz ein, in der Mitte wachsen rote Tulpen, sie glänzen wie eine Samtdecke in dem goldenen Licht.
    Zum ersten Mal fällt mir auf, dass der Fußboden im Treppenhaus wie ein Schachbrett gemustert ist, Fliesen in Schwarz und Weiß, wie im Zimmer meines Vaters, ich steige langsam hinauf, schiebe den Stock vor mir her wie eine Blinde. Zu meiner Freude ist die Sekretärin nicht da, der Empfangsraum ist leer und still wie ein verlassener Militärposten, nur das Summen des Bohrers aus der benachbarten Zahnarztpraxis ist zu hören, ich nähere mich dem Behandlungszimmer und lege das Ohr an die Tür, Stille, vermutlich ist niemand da, ich werde nicht sehen, wie er dasitzt und zustimmend nickt, den Mund leicht geöffnet, als lauschte er mit den Lippen und nicht mit den Ohren, vorsichtig klopfe ich, und als keine Antwort kommt, öffne ich langsam und mit pochendem Herzen die Tür. Nur ein einziges Mal war ich hier, einen intensiven und kurzen Augenblick lang, wie schnell und geheimnisvoll verlief damals meine Genesung, doch sogar dieses Zimmer hat sichbis zur Unkenntlichkeit verändert, es ist dämmrig und stickig wie ein Schuppen.
    Ich frage mich, ob überhaupt noch jemand sich die Mühe macht, herzukommen, ob noch jemand an dieses Zimmer und den Mann darin glaubt, und ich setze mich in den bequemen Ledersessel, in den ich damals kraftlos gesunken bin, wundere mich über seine Schäbigkeit, meine Augen gewöhnen sich langsam an das durch die Vorhänge violett gefärbte Dämmerlicht, ich bemerke einige Kartons, die an der Wand stehen, und zu meiner

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