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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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ist Talja. Amnon ist gerade weggegangen. Er hatmich gebeten, mit dir zu sprechen. Ehrlich, ich mache mir wirklich Sorgen um ihn, obwohl ich auf deiner Seite stehe. Mach keinen Blödsinn. Gib der Sache noch eine Chance. Ruf mich an, wenn du das hörst. Küsse.
    Und da ich nicht antworte, bleiben ihre Stimmen um mich, bohren sich in meine Gelassenheit, niemand wehrt sie ab, niemand vertreibt sie, sie spazieren in der Wohnung herum, greifen an, drohen, und schon bin ich nicht mehr allein, so wie ich es gewollt habe, gegen meinen Willen beherberge ich Gabi, gegen meinen Willen habe ich Talja zu Gast, ich höre ihre Vorwürfe und antworte nicht, und ich sehe den Moment voraus, in dem ihre Stimmen zu meiner Stimme werden.
    Mir scheint, als hätte ich nur eine Antwort für sie, aber ausgerechnet die kann ich ihnen nicht geben: Als ich ein Mädchen war, hatte ich keinen Ehemann, ich habe allein geatmet, ich habe mich allein in die staubigen Höhlen der Bücher versenkt, habe allein die Kinderkriege ausgefochten, bin allein barfuß über glühende Sandwege gelaufen, bin allein in einer bewölkten Nacht über einen Zaun geklettert, umgeben von gelben duftlosen Jasminblüten.
    Guten Tag, Ella, hier ist Michal, die Mutter von Jotam aus der Schule. Jotam lädt Gili für morgen Vormittag ein. Wenn du keine Zeit hast, ihn zu bringen, können wir ihn abholen. Ruf bitte zurück.
    Ella, ich muss dringend mit dir sprechen. Ich versuche, später bei dir vorbeizukommen, wenn Papa schlafen gegangen ist. Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.
    Aber als ich ein Kind war, hatte ich keinen Ehemann, wie konntest du das vergessen, Mama, du hattest einen Mann, nicht ich, und das war fast der einzige Unterschied zwischen uns, denn auch du wolltest ein Mädchen sein und bist mit mir in die Orangenplantage geflohen, hast an meinem einsamenVersteckspiel teilgenommen, denn ich konnte mich manchmal vor ihm verstecken, du aber nie, und dort hast du die Beleidigungen, die du erfahren hast, vor mir ausgebreitet, du hast mich zur Richterin gemacht, und dein Leid hat zwischen den Bäumen gejammert wie ein Schakal, was hätte ich dir anbieten können, nur meine Zuneigung, genau wie du mir deine angeboten hast, immer heimlich und immer zu einem hohen Preis.
    Sie kommt tatsächlich, ohne anzuklopfen platzt sie herein, als wäre meine Wohnung auch die ihre, mein Leben das ihre, in einen Mantel gehüllt, obwohl noch lange nicht Winter ist, sie verströmt den starken Geruch der gebratenen Hühnerkeulen, die sie, einander gegenübersitzend, gegessen haben, er redend und sie ihm lauschend, seinen Teller füllend und nickend, und unter dem Mantel, über den schweren Hüften, trägt sie ihre enge Wollhose und den dicken geschmacklosen Pullover, den sie vor vielen Jahren für mich gestrickt hat, wie du siehst, sagt sie stolz, werfe ich nichts weg, erinnerst du dich, dass ich diesen Pullover mal für dich gestrickt habe, es hat mich Monate gekostet. Ich betrachte die grellen Farben, Olivgrün neben Rot und darunter ein Streifen Gelb, so hast du mich zur Klassenfeier geschickt, und ich habe dir geglaubt, dass dies der allerschönste Pullover sei und ich das allerschönste Mädchen sein würde, und nur in deine Arme konnte ich zurückkehren, mein beschämtes Gesicht hinter den lächerlich weiten Ärmeln versteckt, nur mich hat keiner zum Tanzen aufgefordert, nur mit mir hat keiner gesprochen, und du hast mich getröstet und mir prophezeit, warte es ab, du wirst noch bis zum Wahnsinn geliebt werden.
    Schau nur, wie gut er immer noch ist, sagt sie stolz, willst du ihn vielleicht zurückhaben, er hat dir immer so gut gestanden, und ich sage, um Gottes willen, nein, nicht diesesDing mit den weiten Ärmeln, ich setze mich ihr gegenüber auf das Sofa, betrachte deprimiert die lächerliche Gestalt, eine zu dicke Frau in alten Kleidern, die nicht der Jahreszeit entsprechen, auch nicht ihrem Alter, und frage, worüber wolltest du mit mir reden?
    Papa hat mir von eurem Gespräch erzählt, sagt sie und seufzt, und ich unterbreche sie sofort, Gespräch? Seit wann nennt man so etwas Gespräch, es war eine Verwarnung, oder noch besser, eine Leichenrede, und sie sagt, gut, Ella, du kennst deinen Vater, er ist immer sicher, dass er Recht hat, daran wirst du nichts ändern, vor allem, weil er im Allgemeinen wirklich Recht hat, aber ich kann mir diese altbekannten Ausreden schon

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