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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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sein Vater nicht mehr da ist und seine Großeltern verschwunden sind. Seine entschlossene Fröhlichkeit, als wir in den strahlenden Herbstmorgen hinaustreten, macht mir Mut, blasse Wolken ziehen über den Himmel wie leichte Segelboote, und ich habe das Gefühl, dass auch wir ein kleines festes Segelboot sind, nur für zwei Personen bestimmt, wären wirdrei, würden wir schwanken und kentern, jetzt, ohne ihn, haben wir es leichter, eine Mutter und ihr Sohn, ein Sohn und seine Mutter, was gibt es Einfacheres?
    Du humpelst fast gar nicht mehr, sagt er erstaunt, umkreist mich wie ein Schmetterling, das ist, weil ich dir einen Kuss auf die wehe Stelle gegeben habe, ich bin sicher, dass ich bei Jotam viel Spaß haben werde, aber du bleibst erst mal bei mir, ja? Und ich sage, das ist mir nicht so angenehm, ich kenne seine Eltern kaum, aber er lässt sich nicht beirren, hüpft von einem Haus zum anderen, vielleicht ist es das da, oder das, sein Blick wandert über die Fassaden aus schweren, grob behauenen Steinen, manche Häuser tragen kokette Hüte aus Ziegeln auf dem Kopf, die meisten haben jedoch flache graue Dächer, der lange Sommer hat die wenigen Pflanzen der Stadt ausgedorrt, hat die Farben weggewischt, die Straße wirkt wie ein in der Sonne ausgeblichenes Aquarell, sogar die Geräte auf dem Spielplatz haben ihre Farben verloren, die Rutsche und die beiden Wippen, der zerrupfte Grünstreifen. Genau gegenüber vom Spielplatz, hat sie gesagt, da ist das schöne Mehrfamilienhaus, es sieht aus, als wäre es erst kürzlich renoviert worden, alt und neu zugleich, die Steine leuchten in der Sonne, mit schmalen langen Balkons zur Straße, und oben, auf dem obersten Balkon, steht eine kleine Gestalt und winkt und schreit, Gili, hier bin ich.
    Vielleicht gehst du allein hinauf, sage ich probeweise, Unbehagen erfasst mich beim Anblick dieses prächtigen Hauses und der dem Schabbat hingegebenen Straße, überall sind festlich gekleidete Menschen mit Gebetbüchern in der Hand auf dem Heimweg von der Synagoge, es scheinen dieselben Menschen zu sein, die wir gestern gesehen haben, als wir nach Hause gingen, es gibt keinen Grund, den Schabbat zu suchen, er verfolgt uns, anhänglich und irritierend, wie einGast, den man zwar erwartet hat, dessen man aber schon bald überdrüssig wird. Es ist mir unangenehm, sie jetzt zu stören, versuche ich ihm klar zu machen, ich kenne sie kaum, sie haben dich eingeladen, nicht mich, und ich erinnere mich an den distanzierten Blick des Mannes, der auf der Matte hinter Michal saß und ihren Nacken massierte, aber Gili bleibt stur, und ich folge ihm, nur für ein paar Minuten, verkünde ich, als sein Rücken hinter der Treppenbiegung verschwindet. Ich glaube Jotams Schritte zu hören, der ihm laut keuchend entgegenhüpft, und plötzlich fällt etwas Großes herunter, saust an mir vorbei und landet mit einem Knall auf dem Marmorfußboden unter uns, ich erschrecke, was war das, aber dann höre ich sie lachen, wir werfen Wasserbeutel, kreischt Gili stolz und übermütig, aber mir fällt es schwer, mich zu beruhigen, der Anblick des hellen Gegenstands, so groß wie ein Säugling, der an mir vorbeigesaust ist, lässt mich nicht los, und ich beschwöre sie, beugt euch nicht über das Geländer, sonst fallt ihr noch selbst hinunter, geht in die Wohnung, dieses Spiel ist wirklich gefährlich, und ich folge ihnen durch die weit geöffnete Tür, ohne zu klingeln, als handelte es sich um meine Wohnung und um meine beiden Kinder, um meine schöne, menschenleere Wohnung. Trotz des höflichen Hüstelns, das ich hören lasse, um mich bemerkbar zu machen, geht keine Tür auf, Jotams Zimmertür wird sogar zugeknallt, Gili ist drin, aber sofort reißt er sie wieder auf und ruft, geh noch nicht weg, Mama, warte noch ein bisschen, und ich frage sofort, Jotam, wo sind deine Eltern? Sie schlafen noch, sagt er, und ich stehe hilflos in der Tür, betrachte widerwillig die gepflegte Wohnung. Ein gemütliches braunes Ledersofa steht auf dem Holzfußboden, davor ein breiter Perserteppich und ein offenbar antiker Schaukelstuhl, an den Wänden hängen dunkle Fotoarbeiten, dazwischen ein großer Spiegel mit einemüppig verzierten Rahmen, ich sehe darin mein besorgtes Gesicht, ungeschminkt, mit wilden Haaren, eine ungebetene Besucherin.
    Auf dem Esstisch steht eine armenische Obstschale mit

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