Späte Familie
neuestes Kostüm, und ich erinnere mich, wie Talja und ich im Gedränge vor dem Purimfest auf den Wühltischen nach Kostümen gesucht haben, umgeben von unzähligen Frauen und Kindern, und ausgerechnet dort, an einem Ort, an dem man unmöglich etwas hören konnte, brachte ich es über mich, ihr die klaren Worte ins Ohr zu flüstern, und Talja schlug die Hand vor den Mund und schrie, du bist nicht normal, Ella, wage es ja nicht, ihn zu verlassen, willst du das Leben deines Sohnes zerstören?
Ich bin der groÃe Zauberer, verkündet er noch einmal, der Hut rutscht ihm in die Stirn, verdeckt seine kastanienbraunen Locken, lässt ihn älter aussehen, wie ein Rabbi hat er sich vor uns aufgestellt, ein zwergwüchsiger Rabbi, der uns trauen will, uns vermählen mit seinem Zepter, und Amnon schaut ihn verärgert an, so willst du in die Schule gehen? Was hast du bloà in deinem Kopf, heute ist doch kein Purim, zieh sofort das dumme Zeug aus. Gili fängt an zu diskutieren, na und, so will ich es eben, in seinen Augenwinkeln blitzen schon die Tränen, die dort immer lauern und auf eine günstige Gelegenheit warten, und ich beeile mich zu sagen, das macht nichts, soll er doch so gehen, was kann schon passieren, und ich sehe bereits vor mir, wie er zögernd die Tür zum Klassenzimmer öffnet, die Kinder starren ihn überrascht an, auf ihren Gesichtern erscheint Spott, schaut ihn euch an, ein Zauberer ohne Feiertag, verunsichert und besiegt, ein Zauberer, der nicht zaubern kann.
Aber als sie sich von mir verabschieden, sitzt Gili stolz auf den Schultern seines Vaters wie auf einem Thron, sie haben sich sekundenschnell in ein zweiköpfiges Geschöpf verwandelt, der untere Kopf kahl, rasiert, der obere mit einem Hut bedeckt, werden sie von dem dunklen Treppenhaus verschluckt, und ich lausche gespannt dem Echo der Schritte, der Stimme, hell wie die eines Vogels, die sich fast überschlägt vor Eifer, und mir kommt es vor, als habe uns wirklich ein Einbrecher überrascht, begehrlich und schnell, der vor meinen Augen alles raubt, was ich gesammelt habe, alle Familienschätze von Generationen, und mir nur leere Schubladen übrig lässt, gähnende Regalfächer, einen Kinderpyjama, der im Ehebett zwischen zerwühlten Decken versteckt ist und noch den ängstlichen Geruch der Nacht bewahrt hat, und wieder denke ich an den Moment, als wir auf einmal drei wurden, als wir Gili, das Baby, in diese Wohnung gebracht haben, in einer geliehenen Tragetasche, seine Beine waren nackt, denn Amnon hatte aus Versehen zwei Baumwollhemdchen gebracht statt eines Hemdchens und einer Strampelhose, und ich denke auch an die starke Sehnsucht, zusammen mit beiden im Bett zu liegen und meine neu geborene Familie mit einer dünnen Decke zuzudecken, ich auf einer Seite, er auf der anderen und das Baby in der Mitte, uns trennend, und beide streicheln wir staunend die wunderbare Haut, und auch die weiche Herbstsonne stiehlt sich zwischen die Laken, streift mit ihrem durchsichtigen Feuer unsere Fingerspitzen.
Aber so blieb es nicht, und jetzt sind wir keine drei mehr, nie wieder werden wir drei sein, und es scheint, dass wir in diesem neuen Abschnitt auf einmal zu viert sind, zwei Paare trennen sich, ich und mein Gili, Amnon und sein Gili, der dazu bestimmt ist, ein vollkommen anderer mit mir und mit ihm zu sein, zwei Paare, die sich umso weiter voneinanderentfernen werden, je älter das Kind wird, eine Hälfte von ihm gehört schon nicht mehr mir, und mir kommt es vor, als sähe ich ihn in zwei Teile geschnitten, welches Teil wählst du, Mama, das obere oder das untere, das rechte oder das linke, denn heil und ganz werde ich schon nicht mehr sein, auch wenn ich heil aussehe, immer wird eine Hälfte von mir nur das Ergebnis deiner Fantasie sein.
Das ist eine lebenslängliche Wunde, sagte Talja damals, die kohlschwarzen Augen vorwurfsvoll aufgerissen, die Hände voller Kostüme, du verwundest Gili und dich selbst, du wirst es ohne Amnon viel schwerer haben, wie kann man einen Ehemann für nichts verlassen? Wenn niemand auf einen wartet? Wie kann man eine Familie auseinander reiÃen, einfach so? Aber ich protestierte, es ist nicht einfach so, Talja, du weiÃt genau, dass es nicht einfach so ist.
Du hast keine Ahnung, was du sagst, beharrte sie, die Kostüme, in glatte Plastikfolie verpackt, rutschten in ihren Händen weiter nach unten, und ich starrte sie wie
Weitere Kostenlose Bücher