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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Wohnung hat, mit einem Kühlschrank, der keinen Krach macht, und ich werde ein riesengroßes Zimmer mit neuen Spielsachen bekommen, er breitet seine Arme aus, um mir die Größe des Zimmers zu zeigen, und ich stehe ratlos vor ihm und weiß nicht, ob ich mich mit ihm über die wunderbare Nachricht freuen und ihn zu seinem neuenZuhause beglückwünschen soll, jahrelang habe ich geglaubt, dass Amnons Anwesenheit uns bedrückt, und jetzt sieht es aus, als schlage seine Abwesenheit eine Bresche zwischen uns.
    Lass dir Zeit, lass dir Zeit, murmle ich, lehne mich an die Fensterbank, betrachte aufgewühlt den Verkehr, alle Autos scheinen schwarz und glänzend zu sein wie das Auto, das heute Morgen hier unten gestanden hat, und in allen sitzen Gabi und Amnon auf den Vordersitzen, legen einander die Arme um die Schultern und lachen, und ich frage mich, ob ich je an diesem Fenster stehen kann ohne einen Schauder vor dem, was an diesem Morgen geschehen ist, dieser brennende Atem an meinem Hals, das rhythmische Rattern des Motors, das Schweigen des Mannes darin, aber tief in meiner Erinnerung, die vor sich selbst zurückschreckt, entdecke ich auch die Spur einer Erregung, scharf und glänzend wie die Schneide eines Messers.

6
    Aber was ist schon Zeit? Ein trügerisches Heilmittel ist die Zeit, ein Fluss versteckter Tränen, ein Steinregen ist die Zeit, eine anhaltende Steinigung, ein listiger Betrüger ist die Zeit, ein furchtloser Wegelagerer, was könnte ich über die Zeit sagen, die mir Tag für Tag immer mehr von meinem Besitz nimmt, die Einfachheit der Tage, die sich gebetsmühlenartig wiederholen, die Lust der Nächte, die schwer von Schlaf sind wie fette schwarze Erde, die Gnade, frei von Zweifeln zu sein, und sogar meinen Sohn versucht sie zu verführen und streckt ihre starken Hände nach ihm aus, um ihn von mir zu entfernen.
    Ist es das, was mein Vater gemeint hat, ist es das Verschwinden des früheren Gili, vor dem er mich gewarnt und das er vorausgesagt hat, denn es ist ein neuer Gili, der zwischen uns hin und her wandert, nicht mehr der Junge, den ich liebe, und von allen Schlägen, die mich von morgens bis abends treffen, ist die Sehnsucht nach dem alten Gili der schlimmste. Die Frucht der Liebe war er, und nach dem Ende der Liebe ist auch die Frucht verdorrt, die duftende samtige Schale hat sich abgelöst, und aus der abgestreiften weichen Haut ist ein neues Kind hervorgetreten, stachlig, stichelnd, trotzig, ein Kind des Zanks und des Streits, mit kleinen harten Fäusten, scharfäugig und schnellzüngig. Innerhalb weniger Tage verstummten Fragen, Bitten und Flehen, er hat sich damit abgefunden, Papa wohnt hier nicht mehr, und ich, die ich mich so sehr vor Bitten und Flehen gefürchtet habe, wundere mich über diese schnelle Anpassung, er hat nicht versucht, uns mit Vorwänden wieder einandernäher zu bringen, er fleht weder mich an noch seinen Vater, erwachsen und mit offenen Augen hat er sich mit dem Übel der Trennung abgefunden, als wäre er von Geburt an darauf vorbereitet worden. Ruhig und diszipliniert trennt er sich vor dem Haus von seinem Vater, gehorsam und bedrückt steigt er abends mit seinem Ranzen auf den Schultern die Treppe hoch, als kehrte er von einem langen Schultag zurück, mit fester Stimme erzählt er seinen Freunden, mein Vater wohnt in einem anderen Haus, meine Eltern haben sich getrennt, als wäre das der Lauf der Welt vom Tag ihrer Erschaffung an, als wären wir nie eine Familie gewesen.
    Aber waren wir wirklich eine Familie? Je weiter sich dieses Wort aus meinem Leben entfernt, umso mehr schmerzt es mich, behauptet sich ausgerechnet durch sein Fehlen. Sieben Buchstaben umklammern mein Herz wie Efeu, das den Baumstamm abwürgt, klebrige, giftige Buchstaben, die man nicht abschütteln kann. Es scheint, als hätten sich die Wörter in meine erbittertsten Feinde verwandelt, nicht die Momente der Einsamkeit, der Zweifel, der Erinnerungen, es sind die harmlosen, freundlichen Worte, die gefährlich geworden sind: Vater, Mutter, Familie, Heim. Schwestern und Brüder. Urlaub und Ausflug. Wie bedrohlich sind die Gutenachtgeschichten geworden, in denen es, ein Werk des Teufels, fast immer um ein Kind mit seinen Eltern geht, um das perfekte Familienleben. Die Mutter in der Küche und der Vater im Wohnzimmer, die Mutter, die Kaffee trinkt, und der Vater, der Zeitung liest, beide schlafend, in einem einzigen

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