Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Abschneiden bereut haben, vielleicht hat sie auch die Sinnlosigkeit eingesehen. Sie ist zurückgekehrt. Sie hat einen Teil von ihrem Vater beerdigt, sozusagen. Es gab Knieabdrücke, wir glauben, sie hat dort hinter dem Glashaus gebetet.«
»Und Hedingks’ Tod?«
»Ein Milzriss, sagt Ann-Vivika Kimsel. Schon bei dem Autounfall im Wald hatte er sich massive Verletzungen zugezogen, die nicht behandelt worden sind. Der Stoß, den ihm Alya-Fadia auf der Fähre versetzt hat, hat ihm den Rest gegeben. Er ist letztendlich innerlich verblutet.«
»Mmh«, seufzte Berg. »Eigentlich also nur zwei arme Seelen, wenn man länger darüber nachdenkt.«
Dann sagte er lange nichts, und Nyström schwieg ebenfalls. Sonnenstrahlen fanden in das Zimmer, spielten mit dem Staub in der Luft. Es war angenehm, mit Berg zu schweigen, er gehörte zu dieser Sorte Mensch.
»Und diese deutsche Kommissarin?«, fragte er schließlich. »Diese Forss? Wenn ich das richtig verstehe, ist sie dir ganz schön auf der Nase herumgetanzt.«
»Ja, ich weiß.«
»Sie ist auf eigene Faust nach Israel geflogen.«
»Ja. Ich weiß.«
»Und die Sache mit der Waffe, die sie bei sich hatte. Eine illegale, nicht registrierte Schusswaffe. Wer weiß, wo sie die herhatte.«
»Ja. Ich weiß.«
»Und? Wirst du sie hinauswerfen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Nyström. »Man wird sehen.«
Sie erhob sich von ihrem Stuhl.
»Ich muss dann mal langsam, glaube ich.« Sie lächelte.
»Schon? Schade.« Berg lächelte auch.
»Ich treffe gleich Anna. Ich glaube, sie will mir etwas Wichtiges sagen. Sie klang so, am Telefon.«
»Grüße sie bitte von mir. Anders natürlich auch.« Berg grinste verschwörerisch. »Möglicherweise hat deine Anna ja einen neuen Freund.«
»Möglicherweise ist es etwas in der Art«, sagte Ingrid Nyström leise. Sie drückte zum Abschied seine Hand. Dann drehte sie sich um und ging aus dem Zimmer.
2
Maj und Mathias hatten ihr die ausgebaute Dachkammerin ihrem Haus in Moheda angeboten, und sie hatte nach einigem Zögern zugesagt. Es war eine Zwischenlösung. Das Zimmer hatte eine Kochgelegenheit und ein eigenes kleines Bad, im Sommer wurde es öfter an Touristen vermietet, aber bis dahin war es noch lang. Lea und Tuva hatten ihr einen Traumfänger neben das Bett gehängt.
Am Morgen war sie in der Kirche gewesen. Nicht, dass sie gläubig war oder so etwas, sie war Ingrid Nyströms Einladung gefolgt, sie wollte nicht unhöflich sein. Und entgegen ihrer Erwartung hatte sie der Gesang berührt. Ihre Chefin hatte eine wunderbare Singstimme, die in der andächtigen Atmosphäre des Doms, inmitten des warmen Kerzenlichts und Hunderter Zuhörer unter der hohen Decke des Gewölbes und den beiden spitzen Türmen zur machtvollen Entfaltung gekommen war. Nach den Fürbitten war sie aufgestanden und gegangen. Es gab etwas zu tun, das nicht länger aufzuschieben war.
Nun stand sie seit einer Stunde mit ihrem Wagen auf dem Parkplatz des Pflegeheims in Ljungby. Der Parkplatz war gut gefüllt, sonntags war Besuchstag. Nur sie saß still und fror. Die Sonne war hell, aber noch kraftlos. Forss beobachtete zwei Elstern beim Nestbau. Seit dem ergreifend vorgetragenen Lied in der Kirche waren ihre Gedanken bei dem Abend in Berlin, dem Abend, der alles ins Rollen gebracht hatte. Aufgrund dessen sie hier war, in Schweden, im Wald.
Sebastian hatte gekocht. Nicht einfach so, Spaghetti bolognese oder Pizza oder Kartoffeln mit Frikadellen, nein, sein vegetarisches Sushi hatte es sein müssen. Mit dem speziellen grünen Zeug, für das er quer durch die Stadt gefahren war, zu seinem Japaner oder Koreaner in der Torstraße oder wo der war, in Mitte oder am Prenzlauer Berg. Ein neues Messer hatte er auch gleich gekauft, wahrscheinlich war es noch schärfer als das letzte oder hatte eine noch häufiger gefaltete Klinge oder war sonst wie besser, jedenfalls war es mit Sicherheit teuer gewesen, denn Sebastian hasste billiges Zeug, ein Hunderter für ein Messer war da nichts. Konnte er sich ja leisten als selbstständiger, erfolgreicher Illustrator, da konnte man mal eben nachmittags für ein Essen quer durch Berlin fahren, ein Quatschmesser kaufen und Jamie Oliver spielen.
Und sie? Hatte seit vier Wochen Schichtdienst, seit vier Wochen zu wenig Schlaf. Ermittlungserfolge? Fehlanzeige. Sie wollte nur schlafen. Essen und schlafen. Normales Essen, Pizza, Pommes, Pasta zur Not, dann in die Kiste und Augen zu. Stattdessen saß sie an einem weiß eingedeckten Tisch mit
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