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Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Voosen , Kerstin Signe Danielsson
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Schachrätsel? Sie hatte keine Schachrätsel. Was meinte er überhaupt? Diese Dinger aus der Zeitung, Bauer von E7 auf E8? Sie begriff gar nichts. Er ärgerte sich, wurde unruhig und laut.
    »Wer bist du?«, fragte er.
    »Was wolltest du dort?«
    »Was wolltest du von Henrik Larsson?«
    Sie wollte ihm antworten, ihn beruhigen, sie wollte nicht erschossen werden. Aber sie begriff nicht. Wer um alles in der Welt war Henrik Larsson?
    Sie erzählte, redete um ihr Leben, erzählte von ihrem Leben. Die Geburt, das Waisenhaus, die tote Mutter. Die Suche nach ihrem Vater, dem Vergewaltiger, dem Krankheitsüberträger, nach Balthasar Melchior Frost. Den sie schließlich in einem Glashaus in Schweden gefunden hatte, am Boden liegend, röchelnd, um sein Leben hustend, mit weiß getünchtem Gesicht. Den sie trotz allem hatte retten wollen, indem sie ihm einen Eimer Wasser über den Kopf schüttete. Der arme Mann, der daraufhin Feuer zu fangen schien. Der schrie und brüllte und vor Schmerzen um sich schlug. Der dann zuckend, sich krümmend verendete, seinen Geist aufgab. Was hatte sie getan? War der tote Mann, der da vor ihr lag, wirklich ihr Vater? Sie musste in seine Augen sehen, von Nahem, sie musste Gewissheit haben, endgültig, fühlen, was sich in ihr regen würde. Doch da waren keine Augen mehr. Da war nichts mehr, nur noch totes Fleisch. Was sie dann tat, war eine Affekthandlung. Sie wollte Gewissheit, eine endgültige Identifikation. Sie hatte keine Zeit, der ganze Ort schrie Gefahr. Denn warum sonst hatte ihr Vater auf dem Boden gelegen, am Kopf blutend, um sein Leben kämpfend? Sie musste schnell handeln. Die einzige Chance, die sie sah, war die Gartenschere. Sein Fingerabdruck konnte ihr später vielleicht einmal Gewissheit geben. In den Siebzigerjahren war sie einmal für acht Wochen in einem palästinensischen Ausbildungslager gewesen, Guerillataktiken, dort hatte man ihnen solche Dinge beigebracht.
    Plötzlich war er gekommen, der Mann mit der Waffe, und hatte auf sie geschossen. Der erste Schuss ging vorbei, sie hörte das Zischen. Sie sprang auf, rannte. Der zweite Schuss traf. Das Brennen in ihrer Schulter, der Schmerz. Sie rannte weiter, sprang in das Auto, nur noch weg, Vollgas, immer weiter, eine Straße nach der anderen, bis keine Scheinwerfer mehr im Rückspiegel zu sehen waren.
    Sie sah ihn an. Jetzt waren seine Augen die Scheinwerfer. Seine Waffe war gesenkt, er war ein dünner Mann, die Waffe war schwer. Immer noch stand er vor ihr, vorm Bett. Es war ein Etagenbett, der untere Teil. Der obere, unbenutzte Teil war an die Wand geklappt. Das war der Enge der Kabine geschuldet. Nur ein Gurt mit Klettverschluss hielt den Metallrahmen, der die Matratze fasste, an der Wand. Maria konzentrierte sich, spannte ihre Muskeln. Der Gurt lag in Reichweite ihres linken Arms, ihrer guten Schulterseite. Er sah aus, als ob er angestrengt nachdachte. Sie zählte bis drei. Dann schnellte ihr Oberkörper hoch. Sie bekam das Ende des Gurtes zu fassen, riss daran. Der Rahmen klappte nach vorne und traf seinen Kopf. Mit einem Aufschrei drehte er sich zur Seite. Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und trat ihm von hinten in die Kniekehlen. Er fiel zu Boden und ließ die Waffe fallen. Er wand sich, seine Stirn blutete, eine klaffende Platzwunde. Sie machte einen Satz nach vorne, trat dabei auf seinen Oberkörper. Er jaulte auf, hielt sich den Bauch. Sie ging in die Hocke und griff nach der Waffe. Im Rücken hatte sie die Tür der Kabine. Er lag vor ihr, wehrlos. Sie atmete schnell. Die Scheinwerfer seiner Augen waren jetzt trübe. Er sah aus, als würde er bald das Bewusstsein verlieren. Sie hatte keine Angst mehr. Sie war der Situation Herr geworden. Herrin.
    »Wer bist du?«, hörte sie ihre eigene Stimme. »Wer zum Teufel bist du?«
    2
    Es war alles eine Frage der Organisation. Bis zum Anlegen der Fähre in Kiel war noch genügend Zeit. Ingrid Nyström würde um 05.15 die erste Maschine nach Hamburg nehmen, eine Stunde nach der Landung würde sie pünktlich vor neun Uhr in Kiel sein. Die Reederei und die Führung des Schiffs waren bereits informiert worden. Die Verhaftung würden deutsche Polizisten vornehmen, sobald das Schiff angelegt hatte.
    Forss fuhr die Nacht hindurch mit dem Auto nach Kiel. Allein schon wegen der Kooperation mit der deutschen Polizei war die Anwesenheit der jungen Ermittlerin sinnvoll. Die Strecke über die Öresundbrücke und später mit der Fähre über den Fehmarnsund war in etwa die gleiche, die sie

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