Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
man kann Punkte sammeln und Wertungen bekommen. Hedingks war wohl ein kleines Licht, aber nichtsdestotrotz besessen davon. Er wollte einen Meistertitel. Und dazu braucht man eine bestimmte Punktanzahl. Es zählt die Qualität von veröffentlichten Rätseln. Sein Dilemma war, dass er nicht gut genug dafür war. Irgendwann musste er auf die Schachqualitäten von Larsson gekommen sein, wahrscheinlich hat ihm seine Mutter davon erzählt. In der Tat hatte Larsson in den Fünfzigern und Sechzigern Schachprobleme kreiert und in Fachzeitungen publiziert und damit sogar Geld verdient. Beim ersten Durchgehen seiner Unterlagen haben wir gedacht, die aufgeführten Honorare wären für wissenschaftliche Artikel gewesen, seine Schmetterlinge und so. Warum erdamit aufgehört hat, wissen wir nicht. Vielleicht hat er einfach das eine Hobby gegen das andere eingetauscht, Schmetterlinge statt Schach. Bis Walter Hedingks bei ihm auftauchte und seine Hilfe einforderte, ihn erpresste. Er wusste schließlich von Larssons Versteckspiel, seinem echten Namen, ein Druckmittel war also da. Und Larsson hatte Axelsson gegenüber in Bezug auf seine Erpressung einmal pathetisch von einer Schlange mit zwei Gesichtern oder zwei Köpfen gesprochen. Es könnte sein, dass er damit Bingström und Hedingks gemeint hat. Möglich ist allerdings auch, dass er Hedingks freiwillig half, aus Mitleid oder Verantwortungsgefühl. Schließlich war Walter sein Neffe, wenn man so will. Vermutlich werden wir es nie erfahren.
Was wir bei Hedingks jedoch gefunden haben, sind die Reste eines Briefes, den Larsson geschrieben hatte. Keine Ahnung, warum er sie aufgehoben hat. Larsson schreibt darin, dass er im Moment zu beschäftigt und zu zerstreut sei, um zu liefern. Wahrscheinlich meinte er die Schachkompositionen. Dieser Brief ist unserer Meinung nach der Auslöser für Hedingks gewesen, er hat Larsson nicht geglaubt. Er ist zu dem alten Mann hinausgefahren und hat ihn bedroht. Er hatte eine Waffe dabei. Wahrscheinlich dachte er, dass Larsson die Schachaufgaben vor ihm versteckte. Indem Glashaus kam es schließlich zu Handgreiflichkeiten. Wir konnten es so weit rekonstruieren: Hedingks stößt den alten Larsson gegen einen der Metallpfeiler und drückt ihn dann mit dem Kopf in den Bottich mit Löschkalk. Dort lässt er von ihm ab und geht in das Haus, um nach seinen Schachrätseln zu suchen. Das ist der Moment, in dem Maria Alya-Fadia auf den Plan tritt. Sie ist mit Larsson verabredet, hat sich allerdings verspätet, daher das halb benutzte Teeservice im Wohnzimmer. Was sie vorfindet, ist ein hustender, kalkbedeckter Mann. Aus dem Impuls heraus, ihm zu helfen, schöpft sie einen Eimer Wasser aus dem Fischbassin und schüttet ihn über Larsson. Den Rest kannst du dir ausmalen. Nichts mit Folter, nichts mit Ritualmord. Alles ein unglücklicher Zufall. Auch das Timing. Wir denken, dass perfiderweise das eine Ereignis das andere ausgelöst hat, dass Marias angekündigter Besuch der Grund war, warum sich Larsson in den Wochen davor nicht mehr auf die Schachkompositionen konzentrieren mochte. Denn was sollte er Maria erklären? Er musste mit einer Lebenslüge aufräumen. Verständlich, dass das emotional einiges ins Rollen brachte bei ihm.«
Berg grunzte zustimmend. Nyström fuhr fort.
»Larsson stirbt also in Marias Gegenwart, Hedingks stürmt herein und schießt in Panik wild um sich. Maria wird angeschossen, kann aber in ihrem Wagen fliehen. Hedingks rast hinterher, baut dann allerdings einen Unfall. Kein Wildschwein wie bei dir, sondern ein Elch. Man hat den Kadaver ganze drei Kilometer weiter im Wald gefunden, nicht weit von der Hütte, in der Hedingks einige Tage untergekrochen ist. Dort lagen einige dieser gefalteten Figuren herum, es muss eine regelrechte Besessenheit gewesen sein.«
»Und die Sache mit dem Finger? Der weg war und dann wieder da?«
»Ja, das war merkwürdig. Maria hat sich zu diesem Punkt nicht geäußert, obwohl sie sonst sehr kooperativ ist, so gut es ihr emotionaler und körperlicher Zustand zulässt. Sie hat das alles nicht verwunden. In der Mülltonne des Hauses einer befreundeten Ärztin in Stockholm hat man die Gartenschere gefunden. Ich glaube, es ist ihr sehr unangenehm. Anette hat die Theorie, dass sie den Finger abgeschnitten hat, um Larsson, also Frost, später irgendwie einmal als ihren Vater identifizieren zu können. Nach der ersten Nacht, die sie in ihrem Mietwagen auf einem Parkplatz bei Jönköping zugebracht hat, muss sie das
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