Spaetestens morgen
einen Scherz machte, als er sagte, ich würde besser bei ihm einziehen, als in einem Hotel zu wohnen, da ich eventuell sein Leben retten könne. Er behauptete, mir in einem früheren Leben schon einmal begegnet zu sein. »Du bist der einzige Mensch, der mir helfen kann«, sagte er, »das wusste ich sofort, als ich dich zum ersten Mal sah.« Worin die Hilfe bestand, vermochte er nicht zu sagen. Ich überlegte, ob er verrückt war. Vielleicht war er ein Wahnsinniger, vielleicht telefonierte ich mit einem Mörder. Aber die Neugierde war größer als die Angst, und am nächsten Morgen stand ich mit meinem Koffer vor seiner Tür.
Das Loft befand sich im fünften Stock eines Apartmenthauses an der South End Avenue, an der südlichen Spitze von Manhattan. Ich trat in den hellsten Raum, den ich je gesehen hatte. Die Sonne schien direkt durch die große Glasfront herein. Eine Treppe führte auf die Galerie, in deren Mitte ein riesiges Bett stand. Auf beiden Seiten gab es ein Badezimmer. »Du schläfst auf der rechten Seite. Du hast ein eigenes Badezimmer, und du kannst hier bleiben, solange du willst«, sagte er und drückte mir einen Schlüssel in die Hand. Das Loft war aufgeräumt, aber in der nachlässigen Art von jemandem, der zu lange alleine gewohnt hat. Über dem Bett erkannte ich das Foto des frierenden Paares am Pool. »Ich ging an dem Abend noch einmal in die Galerie zurück und habe das Bild gekauft«, erklärte er und nahm dabei wie entschuldigend die Hände hoch. Ich begriff, dass Paul weder ein Wahnsinniger noch ein Mörder war, aber tödlich einsam.
Paul wollte keinen Mietanteil. Sogar um den Hund musste ich mich nicht kümmern. Er setzte Lucy jeweils am Sonntagabend in ein Taxi und schickte ihn zur Madison Avenue, zu seiner Exfreundin Melissa. Am Freitagmorgen wartete Paul dann vor dem Haus auf das Taxi, das Lucy wieder zurückbrachte. Melissa hatte Paul den Hund geschenkt, kurz bevor sie sich von ihm getrennt hatte. Aber beide hingen gleichermaßen an dem Tier und schickten es abwechselnd den Broadway rauf und runter.
Manchmal steckte eine Notiz unter seinem Halsband. Sachliche Informationen, die den Hund betrafen, wie: »Lucy braucht dringend einen Spaziergang!«
An jenem Morgen war es noch wärmer als sonst. Die Klimaanlage funktionierte nicht mehr, und die Sonne brannte schon in den frühen Morgenstunden durch das Fenster herein. Lucy ließ die Zunge aus dem Mund hängen. Paul kam mit der Zeitung zurück, die von John F. Kennedy jr.s Unfall berichtete. Die Zeitung sprach von einem Fluch, der schon seit Jahrzehnten über der Kennedy-Familie schwebte. Paul stützte den Kopf in die Hände. Er habe genug, sagte er plötzlich. Er habe alles gemacht: die ganze Welt bereist, Millionen gewonnen und Millionen verloren, dreimal geheiratet und sich dreimal scheiden lassen, und das Beste an allem waren die Kinder, sagte er, aber jetzt wolle er sterben. Es klang flehend wie eine Bitte. Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Klar«, sagte ich. »Aber heute fahren wir ans Meer.«
Der Zug nach Coney Island roch nach Donuts und Turnschuhen. Lucy hechelte, und ich besprühte Paul und den Hund ununterbrochen mit dem Wasser aus meinem Evian-Spray, wie zwei Pflanzen, die kurz vor dem Verdorren waren. Er schwieg die ganze Fahrt. Ich zupfte ihn am Ärmel, als wir aussteigen mussten. Ich atmete die salzige Luft. Das Meer war still. Ein paar Kinder rannten kreischend am Strand herum. Der Vergnügungspark von Coney Island war geschlossen. Ich hatte mir vorgestellt, mit Paul in einem Roller-Coaster zu sitzen, der plötzlich aus schwindelerregender Höhe in die Tiefe stürzte. Das riesige rostige Gerüst des Cyclone ragte in den blauen Himmel. Es sah aus, als könnte es jeden Moment in sich zusammenbrechen. Wir spazierten den Strand entlang. Am Ende eines Bootsstegs setzten wir uns, und ich ließ die nackten Füße ins Wasser hängen. Über uns bevölkerten Helikopter wie riesige prähistorische Vögel den Himmel.
»Sie suchen die Leichen«, sagte Paul, »man hat die Kennedys noch nicht gefunden.« Die Luft flimmerte am Horizont.
»Wahrscheinlich werden die Leichen in den nächsten Tagen irgendwo angespült«, sagte ich. Paul lachte laut aufs Meer hinaus, als wäre dies völlig unmöglich. Der Taxifahrer, der uns nach Manhattan zurückbrachte, fuhr in Tribeca an dem Haus vorbei, in dem John F. Kennedy jr. gelebt hatte. Ich wäre lieber nach Hause gegangen, aber Paul wollte aussteigen. Der Eingang des Hauses war abgesperrt. Man
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