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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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in ihrer ungeschminkten Blässe.
    Ästhetisch gesehen ist das Alter meist ein Verlust, aber nicht immer. Als sie jung war, wurde Margarete übersehen. Eine Gestalt ohne jegliche weibliche Rundung und das Vogelgesichtchen mit der großen gebogenen Nase trugen nicht gerade zur Stärkung ihres Selbstbewusstseins bei. Unauffällig und still war sie gewesen, wie nicht vorhanden. Und jetzt stand da auf den Dielen des Landhauses eine Frau mit einer auffallend guten Figur. Was die meisten Frauen als »Matronenspeck« fürchten, kam für Margarete gerade recht, Weichheit auf Wangen und Hüften. Ihre Nase hatte sie verkleinern lassen, ein schmaler Rock und schwarze Wildlederpumps zeigten, was für schöne Beine sie hat. Redegewandt war sie geworden, lustig und herzlich. Mit einem Freund zusammen betreibt sie eine Galerie mit elitärem Anspruch. Margarete ist eine Ausnahme im Kreislauf des Lebens, das Alter brachte ihr nicht den Herbst, sondern die lang ausgebliebene Blüte.
    Gar nicht verändert hatte sich Wolf. Mit schwarzer Ledermütze über einem Rest langer Haare, die grau geworden waren, in schwarzen, engen Lederhosen und gestreiftem Matrosenshirt war er vor zwanzig Jahren derselbe gewesen wie heute. Als sei die Zeit stehen geblieben. Nur sein Jungsgesicht war irgendwie anders, ein altes Jungsgesicht eben. Wolf kuschelte sich in seine Rebellenkluft wie in ein Nest, eine verlorene Heimat. Er schreibt immer noch Verse, die jugendliche Rebellion verströmen. Vielleicht könnte er sie in Hose,Hemd und Jackett von Peek & Cloppenburg nicht mehr schreiben. Micha, der Fotograf, zeigte nach wie vor eine unkaputtbare Ähnlichkeit mit Udo Lindenberg, in tapferer Treue war er mit seinem Idol gealtert, alles klar auf der Andrea Doria. Die alten Freunde sahen einander an und erschraken, ein jeder für sich. Ein jeder für sich verfiel in Nachdenklichkeit. Ein jeder für sich hatte insgeheim gehofft, vom Alter verschont geblieben zu sein. Nach dem ersten Schock sahen sie sich ein zweites Mal an, und Micha rief: Wie sehn wir denn aus! Einer schrieb die Worte mit roter Tusche auf eine große Pappe und hängte sie als Transparent über die festliche Tafel: Wie sehn wir denn aus!
    In »Die wiedergefundene Zeit« beschreibt Marcel Proust Metamorphosen des Alters, eine Matinee hält er für einen Maskenball: »Im ersten Augenblick begriff ich nicht, weshalb ich nur zögernd den Hausherrn und die Gäste wiedererkannte und weshalb jeder einzelne von ihnen eine Maske angelegt zu haben schien … Ich weiß nicht, was der kleine Fezensac auf sein Gesicht getan hatte, aber während andere teils die Hälfte ihres Bartes, teils nur ihren Schnurrbart mit einer weißen Schicht überdeckt trugen, hatte er, ohne sich bei solchen bloßen Umfärbungen aufzuhalten, ein Mittel gefunden, sein Gesicht mit Runzeln und seine Brauen mit struppigen Haaren zu versehen; all das stand ihm übrigens nicht, sein Gesicht machte einen verhärteten, zu Bronze erstarrten, zeremoniösen Eindruck … Die weißen Partien in den bis dahin völlig schwarzen Bärten machten die menschliche Landschaft dieser Matinee zu etwas Melancholischem, ganz wie die ersten gelben Blätter der Bäume, wenn man glaubte, noch auf einen langen Sommer rechnen zu können, und – bevorman angefangen hat, ihn recht zu nutzen – feststellen muß, daß es Herbst geworden ist.«
    Rüdiger kam auf Krücken, man hatte ihm bei einer Operation versehentlich den Nervus femoralis durchtrennt; nun war sein Quadrizeps ein schlaffes Ding, der Oberschenkel gelähmt und Rüdiger gehbehindert. Dafür habe ich jetzt einen Schwerbeschädigtenausweis, in der Straßenbahn habe ich Anspruch auf einen Sitzplatz und komme gratis in alle Ausstellungen, prahlte er und ließ sich in den Sessel fallen. Aber Frauen kriegense jetzt nicht mehr, bemerkte das Geburtstagskind, Addi hatte Rüdiger den Schlag bei Frauen immer geneidet, bei aller Freundschaft. Ich kann, anders als Sie, auf ein Reservoir zurückgreifen, entgegnete Rüdiger lässig, wer in der Jugend sät, erntet im Alter. Mathilde, die Bildhauerwitwe mit dem mondän geschminkten Mund, guckte ihn aus entengrützegrünen Augen unter dichten, schwarzen Kunstwimpern interessiert an, ihr verstorbener Mann hatte sein halbes Leben auf Krücken zugebracht und das sehr lebenslustig. Wie sehn wir denn aus! – die Worte prangten über der Geburtstagstafel als Banner und Bekenntnis. Neu ankommende Gäste waren zunächst baff und fügten sich dann heiter diesem Motto, das den

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