Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Dauerausstellung, hunderttausend Leute haben die gesehen. Er hat zusammen mit seinem Jugendfreund Bätz ein Lebenswerk geschaffen, ganz nebenbei. Hätte keiner gedacht von diesem Bohemien, der Bonmots wie Geschosse durch die Gegend zu schleudern pflegt. Dass er mit vierundsiebzig per Urkunde und Kreuz zum Ritter geschlagen wird. Früher haben Kiedorf und Bätz die Monarchie nur gespielt mit ihren winzigen Pappschlössern, heute sitzen sie mit echten Fürsten und Landgrafen in echten Schlössern beim Bankett: Wir haben uns in die Fürsten- und Landgrafenkreise hineingespielt, da, guck dir das an! – »Einladung für Graf Manfred Kiedorf und Frau Gemahlin aus Anlass der Eröffnung der Sonderausstellung ›Die Schlösser der gepriesenen Inseln‹.« Mein Freund Bätz und ich, wir sind berühmt. Wir sind alt, aber unsterblich.
Die Wohnung liegt im Hochparterre, die winzige verglaste Veranda ist sein Atelier. Wir sitzen bei Tee und Frankfurter Kranz. Alter ist relativ, sagt Kiedorf, nur weil er auf dem rechten Auge blind sei und an normalem Verschleiß leide, sei er doch nicht alt: Ich bin das Kind, das ich war, trotzig und altklug. Die Jugend hört nicht auf, Alte sind Jugendliche mit Überblick. Ich muss mir nichts mehr von Dummköpfen sagen lassen, nichts von Eltern, Lehrern, Abteilungsleitern, Polizisten. Die Autoritäten haben ihren Schrecken verloren, die Ängste sind weg, ich fühle mich frei. Ich muss nicht früh aufstehen und nach Neuhaus-Schierschnitz zur Arbeit fahren.
Der Tod? Kommt bei mir nicht vor, ignoriere ich. Du weißt ja, dass er kommt, aber du willst doch nicht klugscheißerischer sein als der Gevatter selber. Wie sagt doch Erich vom Sauerteige, der Hofdichter von Pelarien: »Der Dichter lebt in seinem Werk/ Drum macht ihm Sterben keine Not/Zum Spaß nur lebt des Königs Zwerg/Drum, wenn er stirbt, dann ist er tot«. Früher haben die Leute jahrelang an ihrem Sterbehemd genäht, um gut auszusehen bei der Ankunft im Paradies. Der Vorteil des Ritterkreuzes – man kann mich angemessen aufbahren, man möchte schließlich auch als Leiche was darstellen.
Ich war ein Biest
Das Paar auf dem Foto atmet den Zeitgeist der sechziger Jahre, klar, streng, entschlossen. Die Frau, ein Mädchen noch, mit glatten dunklen Haaren und hellen Augen. Der Mann, schmal und brünett, hat einen südlichen Blick. Thea und Roger, der Fotograf und die Modemacherin, blieben ein Leben lang zusammen. Voriges Jahr ist Roger gestorben, in einem Hospiz. Bei seinem Sterben hat sie die Angst vor dem Tod verlernt, sie hatten sich abgefunden, sie war bei ihm, die letzten zwei Stunden hielt sie seine Hand.
Nicht noch mal zwanzig sein, nicht noch einmal die Zweifel, die Enttäuschungen, das Alleinsein. Ihre Kindheit sei schön gewesen, die Jugend nicht. Die Mutter stattete ihre hübsche Tochter mit Kleidern aus, die sie als gelernte Schneiderin selber nähte. Sie putzte sie heraus, machte aus ihr ein kostbares Püppchen mit Wespentaille und Schwanenhals, die Mode der Fünfzigerkam dem entgegen. Nachdem die Mutter eines Tages beim Friseur eine auffallend schöne Frau gesehen hatte, die Klavierlehrerin war, stand fest: Thea sollte Klavierspielen lernen, das gehörte zur gutbürgerlichen Mitgift. Die Tochter war das Renommierobjekt ihrer Mutter, sie sollte attraktiv sein für einen reichen Mann aus dem Westen.
Thea aber verliebte sich in einen kleinen Studenten aus Weißensee, eine bittere Enttäuschung, jegliche mütterliche Investition verpufft. Zu Hause hieß es ab jetzt: Du kannst nichts, du hast nichts, du bist ein Nichts, ein Garnichts. Noch mit achtzehn kriegte sie Ohrfeigen. Sie kam zu spät nach Hause, weil sie bei ihrem Freund eingeschlafen war – du Nutte, schrie die Mutter, jetzt wirst du rumgereicht, wenn du ein Kind kriegst, sind wir gesellschaftlich ruiniert, das war 1956. Die überzeugte Hausfrau verstand nicht, dass ihre Tochter studieren wollte, anständige Frauen haben keinen Beruf, sie heiraten. Der Vater war Architekt, er kümmerte sich um Theas geistige Entwicklung, sie war seine intellektuelle Ansprechpartnerin, nicht die Mutter, die eifersüchtig auf die eigene Tochter war. Der Vater kriegte Depressionen, wenn Thea mal eine Fünf schrieb: Ich war, was ich leistete.
Die Mutter ist heute siebenundneunzig und lebt im Altersheim, Thea besucht sie regelmäßig, die alte Frau beginnt zu begreifen, was sie angerichtet hat; dankbar und lieb ist sie jetzt. Umarmen können sich Mutter und Tochter immer noch nicht.
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