Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Kühlschrank kaufte, hielt er das vor seinen Freunden geheim. Als er die Anschaffung eines Fernsehers gestand, gab das der Freundschaft den ersten Knacks. Aller Besitz, ausgenommen Bücher und Schallplatten, galt seinen Gefährten als Schritt auf dem Wege zum Spießer. Eigentum macht unfrei, meinten sie, er aber kaufte sich ein Häuschen in einem Vorort. El Lissitzky und Chandler blieben wohl bei ihm, auch sie wurden älter. Ganz allmählich ist aus dem Freund der alte Freund geworden.Möglich, dass uns nichts weiter trennte als der Vorortzug, denn natürlich besaßen auch wir, seine Freunde, inzwischen Kühlschrank und Fernseher. Auch wir schlugen uns keine verrauchten Nächte mehr um die Ohren zwecks Formulierung von Idealen. Es hatte eine Zeit gegeben, da sahen sie sich fast jeden Tag. Dann alle zwei Wochen, dann einmal im Monat.
Heute besuchen die alten Freunde einander einmal alle fünf Jahre, es können durchaus zehn werden. Etwas liegt zwischen ihnen, nicht nur der Vorortzug. Vielleicht einfach die Zeit, der Alltag, Mangel an Gelegenheit und gemeinsamen Aufgaben. Man verliert sich aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Alte Freunde gehören zum Repertoire des Lebens, auch wenn sie inzwischen Nebenrollen spielen.
Wir erfuhren es von Daisy, seiner Frau: Tom liegt im Bett und trinkt, den ganzen Tag, auch den nächsten und den übernächsten und alle, die noch kommen. Wenn er aufsteht, dann nur, um Nachschub zu organisieren. Er ruft ein Taxi und beauftragt den Fahrer, an der Tankstelle Rotwein zu kaufen. Die Flaschen versteckt er im Garten der Nachbarn, damit Daisy sie nicht findet. Fünfzehn Jahre schon geht das so. Unser cooler Freund war nicht damit fertig geworden, dass sein Talent nach der deutschen Vereinigung überflüssig war. Er wehrte sich nicht, er kämpfte nicht, der Entzug der Anerkennung machte ihn süchtig nach Vergessen. Der große Charlestontänzer versank in der Rotweinhölle, wo er an die Decke starrte und wartete, dass sein Leben zu Ende geht.
Nach Jahren besuchten wir unsere alten Freunde, sie hatten uns kurzfristig eingeladen. Tom war aufgestanden und erwartete uns in der Veranda seines Einfamilienhäuschens.Früher hatte er wie Jack Lemmon in »Manche mögens heiß« ausgesehen, jetzt saß da ein Hollywoodschauspieler in der gelungenen Maske eines zahnlosen, kranken, alten Mannes. Damals hat er sowas manchmal gespielt zu unser aller Gaudi, diesmal war es ernst, nicht Darstellung, sondern Sein, Schattendasein. Im Flur hing ein Jugendfoto von Daisy und Tom, die Primaballerina und der Formgestalter, in beider Augen schwebte Traum.
Wir haben zusammen gegessen und getrunken. »Aus zehn Metern Entfernung sah sie Spitze aus. Aus drei Metern Entfernung sah sie aus wie eine, die nur aus zehn Metern Entfernung gesehen werden sollte – Chandler«, zitierte Tom seinen Lieblingsautor. Ich schenk dir auch was, sagte Sylvie: »Ach wie bald, ach wie bald, schwindet Schönheit und Gestalt«. Jugendfreunde haben keine Anlaufschwierigkeiten, sie verzeihen sich fast alles, es gibt keine Barrieren, auf Abstand folgt immer wieder Annäherung. Es war, wie es vor vierzig Jahren gewesen war, die Vertrautheit, der Scharfsinn; nur dass da statt der jungen plötzlich alte Leute saßen. Als hätte man einen Eimer Schnee über ihnen ausgekippt.
Später holte Tom seine Mappen. Wir sahen uns mit Hingabe seine Entwürfe und Zeichnungen an, Design im Bauhausstil, alles aus Zeiten, als er ein gefragter Mann war. Wir hatten nicht mehr gewusst, wie gut er gewesen ist. Tom lachte sein altes Lachen hinter vorgehaltener Hand, bereits in der Jugend hatte ihm ein Zahn gefehlt im entfernt seitlichen, doch sichtbaren Frontbereich; seine Kommentare waren wie eh begleitet von gemimter Empörung und gespielter Aggressivität, das heimatliche Idiom war abgeschliffen, aberpräsent, das ursächsische Wort »gebauchmietzelt« kam immer noch darin vor.
Wir haben mal einen ganzen Abend in Versen gesprochen haben, wisst ihr das noch?, fragte Tom, jeder Satz ein Reim – »Rotwein« auf »Totsein«, »Kennedy« auf »Ich kenne die«. Nicht nur einen Abend, nonstop, sagte Daisy, die Tom ansah mit einem Lächeln, in dem sich Rührung und Verzweiflung mischten. »Herbert von der Schiene«, der volkseigene Bahnarbeiter, das war deine Rolle, deine Glanznummer. Ich hab den nicht gespielt, ich
war
Herbert von der Schiene, sagte Tom in jenem empörten Ton, der zum Spiel gehörte. Daisy brachte das Dessert, Plinsen mit heißen Himbeeren, Tom ist
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