Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Vielleicht hat sie ja mit ihren Püppchenkleidern und ihrer Schneiderkunst doch was Gutes bewirkt, sinniert Thea, schließlich wurde Mode mein Thema, es bestimmte mein Leben.
Du bist nun alt. Ja, sagt sie munter, alt sei sie ein vollkommen anderer Mensch, verständnisvoll, großzügig, nachdenklich. Die junge Thea sei hektisch, schnell und rabiat gewesen. »Das Auge kommt« hatten ihre Kollegen gesagt: Ich war ein Biest, dogmatisch, eigensinnig, aggressiv, undemokratisch, konsequent, durchsetzungsstark. Geliebt hat mich wohl keiner. Die Wandlung kam durch die Demütigungen der Wendezeit: Da war ich wieder ein Nichts, ein Garnichts, ein Dreck. Ihr Betrieb wurde aufgelöst, keiner im Westen kannte sie, keiner wusste was von ihr. Der Fall war tief. Von der Chefin zur Praktikantin, Adressen schreiben, Inserate ausschneiden, Küche aufräumen, da war sie Mitte fünfzig. Sie sah die Dinge nun von unten, erlebte den feindseligen Ton der ihr vorgesetzten Frauen und war am Ende froh, unter westlichen Bedingungen keine Mode mehr machen zu müssen. Schließlich rappelte sie sich auf und gab Bücher heraus über die DDR-Mode und über ihr Leben.
Auf ihr junges Gesicht blicke sie mit Distanz, auf ihr altes mit Nähe, das kenne sie inzwischen besser. Der Badezimmerspiegel zeigt nur ihr Gesicht, nicht ihren Körper: Nackt will ich mich nicht sehen, nee! Man sollte seine Umwelt nicht mit welker Haut belästigen, sollte im Sommer langärmelige Seidenblusen tragen, feines Gestrick, Leinenblazer. Da ist sie wieder, die Moderedakteurin, die Entwerferin, die Verkünderin des guten Geschmacks: Den Badeanzug nur zum Schwimmen, am Strand ein Pareotuch. Stil behalten, kritisch mit sich selber sein, diszipliniert, kontrolliert. Auf seinen Gang achten, auch wenn man Gesundheitsschuhe tragen muss. Man sollte nicht rebellieren gegen das Alter, sondern das Geschmackvollste daraus machen.
Wozu lebst du noch, hatte Thea sich nach Rogers Tod gefragt, warum stehst du morgens auf. Sie hatte das Bedürfnis, nicht mehr da zu sein. Und dann, nach Monaten, plötzlich der Gedanke: Du bist frei, du kannst machen, was du willst. Trauerphasen sind wie das Wetter, sie kommen und gehen, sagt sie, sie suche das Lachen.
Ciao Bella
Ich finde, dass ich total schön bin, der glatte Hals vor allem – Astrids Jugendfoto liegt zwischen uns auf dem Kaffeehaustisch. Da ist sie Anfang dreißig, entschlossenes Profil, voller Mund, klare Stirn, ernster Ausdruck. Sie trägt ein Karnevalshütchen, oft und gern hätte sie in ihrem Leben die Närrin gegeben, sagt sie. Astrid, der man getrost das Gütesiegel Vollblutweib anheften könnte, ist von stürmischer Herzlichkeit. »Astrid ist ruhig und zurückhaltend«, stand in einem Schulzeugnis: Ich war introvertiert, gerechtigkeitsfanatisch und las Dostojewski.
Als junges Mädchen hatte sie keine Chancen bei Männern, sie war Einmeterachtzig groß, lang und dürr wie der afrikanische Sommer – so wurde gespottet. Während der Weltfestspiele fand ein Freundschaftstreffen mit der chilenischen Delegation statt, man tanzte. Die schwarzhaarigen Chilenen stürzten sich auf die blonden deutschen Mädchen: Mich wollte keiner. Das war eine doppelte Kränkung, eine erotische und eine politische, ich war entbrannt für die Unidad Popular, was himmelten wir die Chilenen an! Unter dem Eindruck der Weltfestspiele war sie, ungeachtetder Kränkung durch die schönen Compañeros, in die SED eingetreten.
Das Foto auf dem Tisch ist 1982 gemacht worden, in einer Phase zwischen Euphorie im privaten und Verzweiflung im politischen Leben, Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt, der Stillstand deprimierte sie. Trotzdem, sagt sie, verbinden sich mit dem Bild hauptsächlich positive Gefühle: Ich war in Berlin, hatte Fuß gefasst und fühlte mich nicht mehr einsam. Ich war endlich bei mir, als Mensch, als Frau, ich war in meinem Leben angekommen. Das sei immer so gewesen bei ihr – Unglück im Allgemeinen, Glück im Persönlichen. In der Wendezeit wurde ihre Redaktion abgewickelt, sie wurde arbeitslos und unglücklich. Plötzlich ist sie mit Glückshormonen geradezu überspült worden, sie war schwanger. Und sie heiratete einen Chilenen. Und ließ sich wieder von ihm scheiden. Und ist ihm freundschaftlich verbunden.
Wie sah deine Mutter aus mit Anfang dreißig? Ich empfand sie damals als alt, eine Hausfrau im biederen Kostüm, mit pechschwarzem aufgestecktem Haar. Sie war dick, was sie auf ihre drei Kinder schob. Heute ist sie dreiundachtzig, und
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