Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
einem Kindergeburtstag »Räuber Hotzenplotz« gespielt, für hundertfünfzig Euro, mit Gitarrenspiel davor und danach, die Bühne hatte er mitgebracht, die Beleuchtung, die Gitarre, alles, dafür sind hundertfünfzig Euro wenig. Er wäre so gern mal schuldenfrei, was für ein Glück wäre das!
Seit fünfunddreißig Jahren ist er Puppenspieler, »Räuber Hotzenplotz« hat er an die zweitausend Mal vorgeführt. Demnächst nimmt er »Gevatter Tod« in sein Repertoire auf, der Gevatter kann auch eine Gevatterin sein. Er wird das Stück erbaulich konzipieren, es soll gut ausgehen. Das hat er sich vorgenommen, als er kürzlich im Krankenhaus lag und dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Klaus möchte »Gevatter Tod« in Altersheimen vorführen, die Alten sollen triumphierend rausgehen aus dem Stück. Man soll den Tod nicht ausschließen, sondern einbeziehen, das besänftigt ihn und macht ihn weniger böse, sagt Klaus.
Auch er hat über Freund Hein triumphiert, nachzwei Operationen im letzten Moment, die erste ein Magendurchbruch, die zweite ein Defibrillator, eine seiner Herzklappen hatte nur noch acht Prozent Kraft, er bekam keine Luft mehr. Da sieht man die Welt anders, sagt Klaus: Jeder Mensch hat einen guten Stern, man muss nur an ihn glauben; ich habe meinen ziemlich strapaziert. Wenn ich Schnaps trinke, piept der Defibrillator, also lasse ich es, sagt der Puppenspieler und bestellt das nächste Bier.
Die Jugend, ach, die Jugend! Er hat sie noch im Ohr, die Sambaparty von Carlos Santana bei seinem ersten Konzert auf der kleinen primitiven Bühne in den Volkslichtspielen in der Salzbergtalstraße in Wernigerode. Klaus, genannt Titch, ein großer dünner Junge, Mittelscheitel, lange Haare, spielte mit seiner Band »Uhrwerk« auf einer Hagstrom-Gitarre: Wenn du die hattest, warst du wer. Sechs Wochen später wurde die Band verboten. Eigentlich wollte Titch an der Hanns-Eisler-Schule in Berlin Jazz studieren. Oder Gedichte schreiben. Oder Schauspieler werden. Zunächst einmal stand er Modell an der Kunsthochschule: Jutta, ich war ein Adonis!
Der Puppenspieler ist ein langer Kerl mit großen Kinderaugen und einem großen Herzen, wenn man es sehen könnte, treuherzig und zerzaust.
Viele denken, ich sei der Harmlosfröhliche, das täuscht, ich bin nicht die Frohnatur, die alle in mir sehen. Ich bin immer noch lebensgefährlich offen, das ändere ich nun auch nicht mehr, wenn man alt ist, ist das sowieso egal. Die Dünnhäutigkeit nehme zu im Alter, kaltschnäuzige Typen könne er nicht mehr ertragen. Wenn ich Depressionen habe, muss ich spielen. Die Kinder in ihrer Begeisterung holen mich aus demTief heraus, ihre Lebensfreude macht mich glücklich. Und traurig. Weil ich weiß, was aus ihnen wird.
Der Puppenspieler liebte die Geselligkeit über alles, seit einigen Jahren jedoch wohnt er still und allein in Funkenhagen in der Uckermark, die nächste Kneipe ist zehn Kilometer entfernt, er schreibt, malt und baut Puppen. Ab und an fährt er nach Berlin, zu Regina, seiner Frau, und Lotte, seiner Tochter. Es gibt wieder eine Annäherung. Die Gründe für die Trennung sind weggefallen; zu wenig Platz, Stress, Alkohol. Vor allem der »Lampion«, jene legendäre Kneipe, die der Puppenspieler als Wirt mit sentimentaler Nachsicht für alle seine Menschenkinder geführt hat. In den »Lampion« kamen, die mühselig und beladen waren in den seltsamen Wendejahren. Ach, Kinderchen, ach, Kinderchen, sagte er und ließ seine betrunkenen Gäste auch diesmal wieder anschreiben. Wenn einer ihn Geschäftsmann nannte, stiegen dem Puppenspieler die Tränen in die Augen. Nein, er war kein Verräter an der Kunst, weil er abends seine Werkstatt zur Kneipe machte und damit Geld verdiente, er tat es für seine Puppen.
Die Liebe, ach, die Liebe: Ich sehe den Frauen gelassener hinterher, ich bin jetzt sechzig, es ist nicht mehr so bedeutend, ich habe ja Chantal. Seit fünfunddreißig Jahren überdauert diese Liebe alle anderen, Chantal in Paris. 1978 wollte er zu ihr, ein gescheiterter Fluchtversuch. Sie sehen sich alle zwei, drei Jahre, sie ist jetzt sechsundfünfzig, damals war sie fünfundzwanzig, eine Germanistin, die als Übersetzerin in der Stahlbranche arbeitet. Es sei trotz der Ferne eine magische Nähe zwischen ihnen, sagt der Puppenspieler: Sie ist in mir, mit Chantal kann ich alt werden.
Schöne Frauen haben es schwer
Schöne Frauen haben es leicht. Zum Beispiel Leonore. Graziler Körper, reichlich geschwungener Mund, halblange
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