Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
blonde Ponyfrisur. In dem ernsten Mädchengesicht sind die Augen groß und grün. Leonore sieht aus wie sechsundzwanzig, sie ist sechsundvierzig. Ihr Leben lang ist sie bewundert worden. Sie musste nichts tun, nur anwesend sein, sich zurücklehnen und warten, was passiert. Aufmerksamkeit und Komplimente standen ihr zu, wie selbstverständlich. Fünf Männer haben sie angelächelt, bei einem hat sie zurückgelächelt.
Anja aus ihrer Klasse war dick, platschig, gar nicht hübsch. Aber zupackend und mit einer umwerfend sympathischen Ausstrahlung. Während die Schönen schicksalhaft das Vergehen ihrer Schönheit abwarten, das unaufhaltsame Abschmelzen dieses einträglichen Kapitals, sind die nicht so Schönen von Anfang an gezwungen, Strategien und Taktiken zur Vervollkommnung ihrer Persönlichkeit unabhängig von äußerlicher Attraktivität herauszufinden, sagt Leonore. Schöne Frauen sind anfälliger für den Verlust von Schönheit und Jugend als andere, schöne Frauen haben es schwer. Mit zwanzig wollte sie nicht alt werden. Höchstens vierzig. Da hat sie geraucht und gefeiert und getrunken: Na und, warum nicht, ich werde sowieso nicht alt. Für Alte habe sie neuerdings mehr Interesse als früher: Wie halten die es aus, alt zu sein?
Der Abstand zwischen ihrem Aufbruch und der Gegenwart käme ihr so kurz vor, sagt Leonore: Ich denke, jetzt geht es erst los, das Leben hat doch erst begonnen, und dann fällt mir ein: Ich bin sechsundvierzig! Ihre Freunde denken schon an die Rente, sie meinen,dass sie ihren Zenit bereits überschritten haben, sie erwarten auch von ihr, dass sie endlich etabliert ist: Du bist doch Designerin, du musst doch Geld verdienen. Leonore macht Industriedesign. Das Wesentliche einer technischen Anforderung herausfinden und durch die Form vermitteln – sie will keine Routine, sie probiert Neues, immer wieder, und sie leistet sich, das Scheitern einzukalkulieren. Solange sie das kann, fühlt sie sich jung. Noch mal zwanzig sein? Auf keinen Fall, da müsste ich ja alles hergeben, was mich ausmacht, ich würde in die Verunsicherung zurückgeworfen.
Leonore sieht sich in einer Übergangszeit, wo sie von ihrer Schönheit noch profitieren kann und sich gleichzeitig auf die weniger schönen Jahre vorbereitet. Erst jetzt beginnt sie, jene Strategien zu entwickeln, die Anja aus ihrer Klasse schon mit fünfzehn beherrschte. Sie legt ihre Schüchternheit ab, ist entschiedener, lauter, lustiger, leutseliger. Herumträgerin von Schönheit ist nicht mehr die einzige Rolle, die sie spielt. Clown sein oder Diva, selbstbewusste Künstlerin, reife Frau – das probiert sie jetzt, Scheitern einkalkuliert: Es werden andere Männer sein, die mir gefallen oder denen ich gefalle. Es muss doch noch Männer über vierzig geben, die jung sind, keine Vatis und keine Jünglinge.
Ihre Freundinnen sind alle jünger als sie. Sie finde kaum Menschen in ihrem Alter, mit denen sie reden könne: Die haben keine Pläne mehr, alles ist gelaufen. Anstatt Saxophonspielen zu lernen, solle ich lieber die Küche wischen, würden die mir raten. Ihr Mann war siebzehn Jahre älter: Bei ihm war ich immer die Junge, die Schöne, dafür musste ich nichts tun. Eines Tages hat ihr das nicht mehr gereicht. Sie bekam Platzangst: Geschlossene Perspektive bis zum Horizont. Inzehn Jahren ist er Rentner, an unserem Leben wird sich nicht mehr viel ändern, ein Kind wollte er auch nicht.
Sie verließ ihn und bekam mit Anfang vierzig eine Tochter. Sie fühle sich nicht als alte, sondern als junge Mutter, sagt Leonore, doch die Zahl der Jahre werde unausweichlich höher: Mensch, ich werde siebenundvierzig! Für die Arbeit sei es gut, dass sie jetzt reifer wirke, zum Beispiel, wenn sie auf der Messe die Stände abklappere, um Aufträge zu akquirieren. Reif wolle sie wirken, aber eben nicht zu reif. Sie sei in ihrem Beruf darauf angewiesen, jung auszusehen: Da darfst du nicht als Matrone mit Lesebrille ankommen, moderne, junge, attraktive Frau gleich modernes, junges, attraktives Design, so ist das. Wie es in zehn Jahren sein wird, möchte sie dahingestellt sein lassen.
Aus dem Leben junger Frauen – Mädchenmomente
Das Schöne an der Jugend?
Elisa: Dass man sich leicht fühlt, unendlich leicht.
Saskia: Dass man attraktiv ist.
Lotti: Dass man junge Männer hat.
Aysel: Dass man mit seinen Kindern Pferd und Reiter spielen kann, und sie sagen: »Mama, ich liebe dir«.
Barbara: Dass man sich nach dem Alter sehnt.
Wohnungen junger Frauen sind fast
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