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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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werde froh sein, dass ich aus meinem Leben nichts mehr machen muss, denn es ist gemacht.
    Weil ich so alt niemals werde, denke ich immer noch, dass ich aus meinem Leben was machen muss. Ich grüble über jeden Texteinstieg, als hätte ich nie zuvor einen Text geschrieben. Ich bin weder weise noch abgeklärt.Meine Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Seins ist ungebrochen. Der Schaukelstuhl ist nicht meine Welt, es zieht mich nach draußen. Ich trinke im Sommer Rosé und im Winter Nero d’Avola, Ingwertee nur, wenn ich Halsschmerzen habe. In der Straßenbahn stehe ich immer noch auf, wenn ältere Leute die Tram betreten, alten Herren halte ich die Tür auf und wundere mich, wenn sie mir zuvorkommen. Ich lasse mir die Haare immer noch immerblond färben.
    Weil ich so alt niemals werde, lasse ich die Kartons mit den alten Fotos und den alten Briefen im Regal, denn ich sage mir, dass ich ja noch viel Zeit habe, alt zu sein. Aus demselben Grund nehme ich das Vergehen der Zeit nicht wahr, sie vergeht einfach. Man hört sie nicht, sieht sie nicht, fühlt sie nicht. Schmecken und riechen kann man sie auch nicht, die Zeit. Und dennoch vergeht sie, unauffällig, still, klammheimlich. Es ist ein sanftes Wehen, wie Sommerwind auf nackter Haut. Leben, als sei jeder Tag der letzte, kann ich nicht, will ich nicht. Stattdessen stelle ich mir überflüssige Fragen: Warum tragen ältere Frauen am Strand Badeanzüge und nicht Badekleider, warum riechen die Bäckerläden nicht mehr nach frischen Brötchen? Warum gibt es Navigatoren fürs Auto, aber keine fürs Leben, warum mache ich immer wieder dieselben Fehler und genieße sie auch noch.
    Weil Alter nicht vor Jugend schützt, weigere ich mich, den Ernst des Lebens zu akzeptieren und nutze jede Gelegenheit, Ernst in Spiel zu verwandeln. Weil Alter nicht vor Jugend schützt, weiß ich, dass ich alt bin, aber glaube es nicht. Weil Alter nicht vor Jugend schützt, kaufe ich mir ein blaues Kleid, das mir irgendwie bekannt vorkommt, Siebziger-Jahre-Stil, so washatten wir doch schon, ein Hemdblusenkleid, abgepaspelt mit bunten Streifen. Man sollte als ältere Frau niemals Kleider tragen, die man in seiner Jugend schon einmal getragen hat, also niemals Retro, das habe ich in einem Moderatgeber gelesen. So was vergesse ich glatt. Zu Hause entdeckte ich das Label in dem blauen Kleid: »Who is that girl« – Wer ist dies Mädchen? Ja, wer? Na, ich doch. Das Alter spielt mit mir Einkriegezeck, es lässt sich nicht kriegen, nicht abklatschen.
    Neidisch bin ich auch. Auf den alten Dichter, der ein Kind gezeugt hat. Frauen müssen sich beeilen, Männer können sich Zeit lassen, können ein Leben lang Zeugung gegen Angst setzen. Ich möchte auch ein großer alter Dichter sein, möchte todestrunkene Stücke schreiben und mich an einem tristen Novembertag über einen selbstgemachten rosigen Babyhintern beugen. Dabei möchte ich Whisky trinken, Havanna-Zigarren rauchen und sechsundsechzig Jahre alt sein. Wie Picasso, der mit achtundsechzig sein viertes oder Charlie Chaplin, der mit dreiundsiebzig sein elftes Kind zeugte. Und die anderen alten Männer, die sich schnell noch mal reproduzierten, bevor sie von dieser Welt gingen.
    Im Herbst sehe ich vom Balkon dem Laternenumzug der Kinder zu. Ich blicke voller Rührung auf so viel Hoffnung, dass aus den vielen kleinen Lichtern irgendwann ein großes Leuchten wird. Ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir, singe ich vor mich hin. Jetzt habe ich den Text vergessen, wie gehts weiter? Da oben, da leuchten die Sterne, da unten leuchten wir, ruft Konrad durch die Flügeltür.

Venedig – la festa
    Auf der Gemüseinsel Vignole soll eine Trattoria sein, wo nur Einheimische verkehren, ein Geheimtipp, sagt Sylvie. Was soll ich da, hier gibt es genügend Trattorias – Konrad ist kein Freund von Ausflügen, Venedig an sich reicht ihm. Ist nur eine Viertelstunde mit dem Vaporetto, drängelt sie, er willigt ein. Das Schiff fährt genau vierzehn Minuten, und sie sind in einer Welt, die Flugstunden von Venedig entfernt scheint. »Spazieren Sie von der Schiffsstation auf dem Hauptpfad bis zum Brückchen und folgen Sie rechter Hand dem Weg durch die Gemüsefelder bis zur Trattoria alle Vignole«, steht im Reiseführer. Sie laufen durch Felder und Wiesen, durch Gemüsebeete und Plantagen. Kein Brückchen, keine Trattoria, dafür sticht die Sonne. Um Kohlköpfe zu sehen, müssen wir nicht nach Venedig reisen, mault Konrad, keine gute Idee. Wir sind gleich da,

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