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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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alle haben mit sich selber zu tun, mit ihrer materiellen Existenz, sagt Aysel.
    Eine Überzeugung hat doch heute fast keiner mehr, beharrt Lotti. Na, hör mal, widerspricht Elisa, ich habe meine Ideale, was mach ich denn die ganzen Jahre in der Friedensforschung. Die Occupy-Bewegung, ist das nichts, dass Leute gegen Banken aufstehen, der Sturz von Diktatoren in der arabischen Welt, die Demokratiebewegung, die Piratenpartei? Lotti beißt wenig überzeugt in einen Pfannkuchen: Du bist Migrantin, Elisa, du hast eine Aufgabe. Achtundsechzig – das war noch was, meint Saskia in ihrem Hippiekleid aus Secondhandbeständen, wir werden keine Erinnerungen haben, wenn wir alt sind. Ich denke immer, da kommt noch was, sagt Lotti.

Aus dem Leben einer älteren Dame – Spätvorstellung
    Das Leben ist ein Theaterstück. Zuerst spielt man die Hauptrolle, dann eine Nebenrolle, dann souffliert man den anderen, und schließlich sieht man zu, wie der Vorhang fällt.
    Winston Churchill
    Diesmal gehe ich da nicht hin, ich bin raus, was soll ich da. Man steht auf der Gästeliste, weil man irgendwann mal als Persönlichkeit geführt wurde, das passiert ohne Ansehen der Person, unpersönlich sozusagen. Man sagt seinen Namen und wird von jungen Frauen in hübschen Kostümen mit einem Lächeln abgehakt. Es handelt sich um den jährlichen Empfang einer überregionalen Zeitung. Wie hatten sie mir früher leidgetan, die verabschiedeten alten Männer, die bei solchen Gelegenheiten einsam durch überfüllte Gänge irrten, weil ihre Gegenwart niemandem mehr nutzt. Sie verwalteten keine Insidergeheimnisse mehr, konnten keine Karrieren mehr fördern und vertrugen keinen Alkohol; ihre Bedeutungslosigkeit drückte ihre Stimmung. Oder die Kolleginnen, deren einstige Attraktivität den späten Jahren zum Opfer gefallen war, und denen selbst die einsamen alten Herren in den überfüllten Gängen mit nichts als gelangweilter Höflichkeit begegneten.
    Ich gehe da nicht hin, ich bin raus, was soll ich da. Lass uns hingehen, überredete mich meine Freundin, war doch immer lustig, hör nie auf, es hört von selber auf! Wir gingen also hin. Was zieht man an für so einen Anlass, wie kleidet sich eine ältere Dame angemessen. Ich entschied mich für die Variante Bürouniformmit Highlight, der praktische Look der Afterwork-Partys, die vor ein paar Jahren Mode waren; Hosenanzug, weiße Bluse, dazu eine Strasskette, die man sich morgens in die Handtasche steckte und deren Glitzern man am frühen Abend mit Gewinn einsetzen konnte. Mit Tanjas Jugend an der Seite fühlte ich mich sicherer, aber immer noch unsicher genug, um den Empfangsdamen am Eingang gleich zwei Proseccos vom Silbertablett zu nehmen, auch Weißwein wurde reichlich nachgeschenkt, mein Selbstbewusstsein hob ab. Zu allem Überfluss stellten sich zwei Kollegen vom Feuilleton ein, mit denen man in jenes leichtfüßige Pingpongpalaver kommen konnte, das einem fehlt, wenn man raus ist aus dem Alltag des Berufs. Man verlernt Ironie, man büßt Humor und Schärfe ein, die Schlagfertigkeit verkrümelt sich in verlassene Ecken. Was nicht trainiert wird, bildet sich zurück, was nicht gebraucht wird, landet auf dem Trödel der Talente.
    Auf dem Gang traf ich einen pensionierten Textchef. Was er so mache. Ich redigiere, wie immer. Ach, wo denn? Ich redigiere zwei überregionale Zeitungen, nach Drucklegung, bei mir zu Hause, ein Büro habe ich ja nicht mehr. Sie redigieren die gedruckten Ausgaben? Ja, die gedruckten Ausgaben, das Redigieren hat mir immer Spaß gemacht. Ab nächstes Jahr höre ich mit den Zeitungen auf und nehme mir die Klassiker vor. Sie redigieren die Klassiker? Ja, Goethe, Fontane, das kann denen nicht schaden.«Eine Verrücktheit, sich die Zeitung zu abonnieren, um die Stellenangebote zu studieren, mit zweiundachtzig Jahren!«, zitierte er, machte eine Kunstpause und fügte hinzu: Thomas Bernhard, »Einfach kompliziert«, Berliner Ensemble, müssen Siesehen! Der Pensionär wandte sich ab und schlängelte sich in die wogenden Tiefen des Gangs.
    Auch was man einen Flirt nennt fehlte nicht. Tanja und ich teilten ihn uns. Mit ihrer Jugend und Schönheit animierte sie den Mann, der etwa in meinem Alter war, sie weckte Wünsche in ihm, die seine geistigen Kräfte anregten, er gab eine Spätvorstellung von Witz und Charme, das kam allen in der Runde zugute. Mir gehörte seine, wie man es nennen könnte, menschliche Seite. Die Atmosphäre war amüsant, übermütig, und so konnte es passieren: Zu

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