Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
später Stunde kam mir die Idee, mich in mich zu verwandeln. Die hinlänglich bekannte, unausweichlich ewige Identifikation mit der Jugend hatte mich im Griff und drängte mir eine Halluzination auf. Ich war nicht mehr die ältere Dame im schlichten Hosenanzug, ich war wieder so um die dreißig und in einem schwarzen dekolletierten Kleid und hochhackigen Pumps zum Spielen aufgelegt. In unserer Runde hielt sich ein Typ mit einem freundlichen, runden Gesicht auf. Er saß einfach nur da, stillvergnügt und schweigend, sein Beitrag bestand in seiner Anwesenheit. Plötzlich hörte ich mich sagen: Sie sind ja wirklich sympathisch, aber so langweilig! Der junge Mann guckte mich an und sagte nichts. Ich sagte dasselbe noch mal mit anderen Worten. Die Frau neben ihm verteidigte ihn lächelnd: Nein, da irren Sie sich, mein Mann ist nicht langweilig, er ist süß und witzig. Die spielten mein Spiel nicht mit, die verstanden gar nicht, was ich spielen wollte, sie akzeptierten mich nicht als Spielkameraden. Für sie war ich irgendeine ältere Person, die nicht mehr ganz nüchtern war und seltsame Reden führte. War ich ja auch. Ich hatte mich unangemessen verhalten; provozieren umder Unterhaltsamkeit willen, sowas tut man nicht als ältere Dame. Die Wahrheit: In meinem Selbstverständnis war ich keine ältere Dame, ich war ich.
Am nächsten Morgen trieb mir meine nächtliche Spätvorstellung die Schamröte ins Gesicht. Ich sah mich plötzlich wie jene Alten, die mir in meiner Jugend nicht geheuer waren, weil sie nicht bescheiden waren; Alte, die glaubten, sie könnten sich aufführen, als seien sie gar nicht alt. Gestern war ich eine von denen gewesen, eine freche Alte. Was hat die alte Hexe gesagt, mein Mann sei langweilig? Die soll zu Hause bleiben und ihre Falten zählen. Würdevoll altern, einen Schritt zurücktreten, sich dem Alter angemessen verhalten, keinesfalls albern oder übermütig. Dabei hat man erforscht, dass Verspieltheit im Alter positive gesundheitliche Wirkungen hat, die Wissenschaft spricht von »regenerierender Albernheit«. Dennoch sieht der Sittenkodex für Menschen über sechzig, insbesondere für Frauen über sechzig, gedämpftes Gemüt in allen Lebenslagen vor. Wenn das Alter beginnt, haben Temperament, Charakter und Individualität keine Rolle mehr zu spielen. Die Alten sollen leise treten, sollen sich ernst und still in das Bild fügen, das die Gesellschaft für sie bereithält. Sittsam, bescheiden und rein – so stand es früher in den Poesiealben für junge Mädchen, so könnte es heute in den Ratgebern für alte Mädchen stehen.
Goya, als er über siebzig war, gab sich in einem Selbstbildnis die Züge eines Fünfzigjährigen. Voltaire stand in diesem Alter nackt Modell, trotz oder wegen der Erfahrung, dass das Herz nicht altert. Traurig aber sei, es »in Ruinen zu beherbergen«. Goethe verliebte sich mit zweiundsiebzig in die siebzehnjährige Ulrikevon Levetzow und machte sich durchaus Hoffnung auf Heirat: »Wenn Liebe je den Liebenden begeistet / Ward es an mir aufs Lieblichste geleistet / Und zwar durch sie.« Dem Alter angemessen? Auf einer Feier setzte sich einer neben mich, den ich schon lange kannte, ein Porzellanmaler mit grauen Locken, und sagte: Seit vierzig Jahren verzehre ich mich nach Ihnen, Frau Ludens, wollen wir uns nicht küssen, bevor wir ins Grab steigen? Was für ein Angebot! »Nimm dich in Acht vor alten Männern, denn sie haben nichts zu verlieren.« Bernard Shaw.
Ich habe sehr wohl was zu verlieren, wenngleich auf einem anderen Gebiet. Kalt erwischte mich der Bescheid, dass der Immobilienfonds, in den ich investiert hatte, aus Finanzkrisegründen geschlossen wurde und dass ich für unbestimmte Zeit keinen Zugriff auf mein Geld hätte, falls denn noch was übrig sein sollte nach Kassensturz. Parallel dazu lese ich auf dem Kontoauszug »Altwerden lohnt sich – Sparkassenaltersvorsorge«. Mein Bankberater schickte mir zum Geburtstag einen Glückwunsch, in dem mir empfohlen wird, zu beten: »Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann …«
Es gibt Schlimmeres, denke ich, das denke ich in letzter Zeit öfter. Vielleicht sieht so die viel beschworene Gelassenheit des Alters aus: Es gibt Schlimmeres. Karies unterm Kronenrand. Oder ein Bänderriss. Meiner ist seit sechs Monaten akut. Sie gehören zu dem einen Prozent Patienten, bei denen ein Bänderriss so lange braucht, um zu heilen, sagt mein behandelnder Arzt. Er hätte da Fußballer, bei denen sei
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