Spanischer Wein
..."
„Was ist eigentlich los mit dir, Liebes?" fiel er ihr gereizt ins Wort. „Wir haben schon lange Geschäftsbeziehungen mit seiner Firma. Und sein Onkel ist ein alter Freund von mir, wie du weißt. Deswegen habe ich Don Antonio gesagt, dass er selbstverständ lich in unserem Haus übernachten kann ..."
„In unserem Haus?" wiederholte sie benommen.
„Und sicher kann ich mich darauf verlassen, dass du dich um ihn kümmerst", erklärte ihr Großvater entschlossen, bevor er das Gespräch beendete.
Gina sprang auf und ging nervös in ihrem Büro auf und ab. Was sollte sie bloß tun? Es wurde immer schlimmer.
Wie hatte sie nur vergessen können, dass sie ihrer Haushälterin und deren Mann übers Wochenende freigegeben hatte? Als sie einen Blick auf ihre Uhr warf, stellte sie fest, dass die beiden vermutlich längst unterwegs nach Wales zu ihrer Tochter waren.
Sie zwang sich, stehen zu bleiben und einige Male tief durchzuatmen.
Es war ein großes altes Haus mit vielen Gästezimmern, und sie war durchaus in der Lage, allein mit Antonio fertig zu werden. Schließlich war sie kein junges Mädchen mehr und es gewohnt, Geschäftsfreunde zu bewirten. Außerdem hatte sie ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Möglicherweise war er längst verheiratet und hatte mehrere Kinder.
Und wenn er erst am Abend eintraf, konnte sie mit ihm in einem Restaurant essen und die Unterhaltung aufs Geschäft beschränken. Und wenn er sich davon überzeugt hatte, dass die Lieferung nicht nach Ipswich gegangen war, würde er am nächsten Tag spätestens gegen Mittag wieder aufbrechen.
Gina beschloss, nach Hause zu fahren und sich zu vergewissem, dass zumindest ein Gästezimmer hergerichtet war.
Obwohl sie immer noch sehr angespannt war, atmete sie erleichtert auf, als sie kurz darauf in ihrem kleinen Sportwagen die lange, von alten Eichen gesäumte Auffahrt zu Bradgate Manor entlangfuhr.
Das Herrenhaus im Tudorstil war seit dem Viktorianischen Zeitalter der Landsitz der Familie Brandon. Ihr Ururgroßvater hatte es damals für seine junge Frau gekauft, die in Suffolk geboren und aufgewachsen war. Sie, Gina, hatte es immer geliebt und unter anderem deswegen die Gelegenheit ergriffen, in der Filiale in Ipswich zu arbeiten.
Wer würde nicht lieber hier wohnen als im hektischen London? überlegte sie, als sie ihren Wagen in die Garage neben den Stallungen fuhr. Langsam ging sie aufs Haus zu.
Heute war es besonders friedlich. Es war ein sonniger Junitag, und man hörte nur das leise Gurren der Tauben in den Bäumen und das Motorengeräusch eines Traktors in der Ferne.
Nachdem sie für Antonio die Suite ausgesucht hatte, die am weitesten von ihrem Schlafzimmer entfernt war, ertappte Gina sich dabei, wie sie nervös durchs Haus lief.
Sie sagte sich, dass Antonio sich bestimmt nicht mehr daran erinnerte, wie sie sich damals zum Narren gemacht hatte, doch es nützte nichts. Immer wieder tauchte die gefährlich aufregende Gestalt von Antonio Ramirez vor ihr auf.
Mit dem welligen rabenschwarzen Haar, das ihm entweder bis zum Kragen reichte oder das er nach dem Duschen nass zurückgekämmt hatte, und den von langen Wimpern gesäumten, mutwillig funkelnden dunklen Augen war er umwerfend attraktiv gewesen.
Kein Wunder, dass sie sich damals Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Sie hatte gerade die Schule beendet und war leicht zu beeindrucken gewesen, und er war der tollste Mann gewesen, dem sie je begegnet war. Und zufällig war er auch der Bruder ihrer besten Freundin gewesen, bei der sie die Osterferien verbracht hatte.
Offenbar war sie nicht die Einzige gewesen, auf die der Sechs-unzwanzigjährige eine so starke Wirkung ausübte. Fast jede Frau zwischen neun und neunzig in der spanischen Großfamilie hatte genauso für ihn geschwärmt, wie es schien.
„Sieh sie dir an!" hatte Roxana einmal lachend bemerkt. „Sie sind alle ganz verrückt nach ihm. Estüpidas, no?"
Und ich war die Dümmste von allen, dachte Gina grimmig und ärgerte sich wieder über sich selbst, weil sie sich in etwas hineinsteigerte, das so lange zurücklag. Schließlich riss sie sich zusammen. Sie brauchte frische Luft und Bewegung. Daher beschloss sie, sich umzuziehen und einen Ausritt zu machen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Antonio presste ärgerlich die Lippen zusammen, als er - zum hundertsten Mal, wie es ihm schien - auf die Bremse trat.
Einen fremden Wagen auf der falschen Straßenseite fahren zu müssen war schlimm genug.
Doch der dichte Verkehr auf
Weitere Kostenlose Bücher