Spatz mit Familienanschluß
Markus hat immer schon gesponnen. Man muß sich damit abfinden, und sie tat etwas, was ihr schwerfiel. Sie schwieg.
»Wie ist die Polenta?« fragte Markus.
»Vorzüglich«, antwortete Mutter. »Willst du vielleicht ein wenig?«
»Nur eine Kostprobe.«
Mutter konnte es noch immer nicht fassen. Markus kostete wirklich von der goldgelben Pracht, er sezierte auch nicht das Fleisch auf der Suche nach verborgenen Sehnen oder Knorpeln. Er aß wie ein ganz normales Kind. Und seine sonnenbraunen Wangen röteten sich noch, wurden aber nicht so rot wie die Narbe auf seiner Nase.
»Du hast dich wohl sehr an den Spatzen gewöhnt«, meinte Vater und deutete auf den Tellerrand.
»Wieso?« fragte Markus.
»Weil du noch immer etwas für ihn an den Rand schiebst.«
»Ach, richtig«, gab Markus zu und fühlte schmerzlich, daß er seinen Freund vermißte.
13
Als die Familie Bergmann daheim eintraf, war der Abend hereingebrochen. Man konnte noch erkennen, daß das Gras im Vorgarten hoch stand. In der Staudenrabatte war das Unkraut sehr gut gediehen. Im Haus roch es nach eingesperrter Luft, obwohl Frau Natus, die Zugehfrau, weisungsgemäß ein Fenster im Wohnzimmer gekippt hatte.
Markus stürzte die Treppe hinauf in sein Zimmer und riß dort das Fenster auf. Die kühle Abendluft strömte herein, es roch nach dem Garten draußen, wie immer. Es war der gewohnte Daheimgeruch.
Kaum hatte er sich auf seinen Stuhl fallen lassen, um sein eigenes Zimmer zu betrachten, das Bücherbord, seinen kleinen Schreibtisch, das Bett mit der schottischen Wolldecke und die Tierposter an der Wand, riefen ihn seine Schwestern, die dem Vater beim Ausladen des Wagens halfen.
Unten herrschten sie Markus an: »Hier, trag den Koffer hinauf! Und vergiß nicht die Schwimmflossen!«
Als er beides in Händen hatte, steckten sie ihm noch eine Luftmatratze unter den Arm und hängten ihm seinen Sportbeutel um den Hals.
Oben in seinem Zimmer ließ er alles auf den Boden plumpsen und setzte sich zur Abwechslung auf das Fußende seines Bettes. Er wollte ein bißchen an Anne und Lucas denken und überhaupt an alles, was geschehen war.
Da hörte er ein Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ. Eine Weile war es still, dann raschelte es wieder, und Markus fragte: »Hallo, ist hier jemand?«
»So hilf mir doch!« rief eine Stimme, die er kannte. »Merkst du nicht, daß ich in deiner Schwimmflosse stecke?«
Das war zweifellos die Stimme von Lucas! Markus sprang auf. »Wo steckst du?« rief er.
»In der unteren Schwimmflosse. Ich ersticke gleich.« Schnell befreite Markus die untere Schwimmflosse vom Gewicht der oberen und des Sportbeutels, und da erschien tatsächlich der Altamura. Er war kaum zu erkennen. Zerknautscht und zerdrückt sah er aus, und als er sich aufrichten wollte, fiel er auf seinen Hintern und mußte sich mit den Flügeln aufstützen, so erledigt war er.
»Noch einmal überleb ich das nicht«, schnaufte er und rang nach Luft. »Diese stundenlange Fahrt, wie kann das nur einer aushalten?« Dann schüttelte es ihn. »Brr, ich friere ja«, stellte er dann fest.
»Ja, es ist Abend«, gab Markus zu. »Da wird es um diese Zeit schon kühl.«
»Kühl? Eiskalt ist das! Kälter geht’s nicht mehr.«
»Du wirst es noch merken. Aber wie kommst du in die Schwimmflosse?«
»Ganz einfach. Die Heckklappe war offen, als der Wagen vor dem Residence stand. Die Flossen lagen obenauf, niemand achtete darauf, ob ein Spatz aus- oder einflog, da bin ich schnell hinein. Keiner hat’s gemerkt, du warst ja noch nicht unten.«
»Und da warst du die ganze Zeit in der einen Schwimmflosse?«
»Nein, ich bin auch ein bißchen zwischen den Koffern auf und ab gegangen. Und während der Pause auf dem Parkplatz war ich sogar draußen und...«
»Und warum bist du überhaupt mitgekommen?« Altamura wandte sich ein wenig ab, und hätte er Hände gehabt, hätte er sie über dem Kopf zusammengeschlagen. »Das fragst du mich?« sagte er enttäuscht. »Ausgerechnet du fragst mich das?«
Markus senkte den Kopf. Der Vorwurf in Altamuras Stimme war nicht zu überhören.
»Ich habe lediglich aus Sorge um dich die Strapazen dieser elenden Reise auf mich genommen.«
»Aber ich hab doch gesagt, daß ich es alleine schaffe.«
»Ja, eben, das war der zweite Grund. Ich war neugierig, ob du es wirklich schaffst. Ich denke da nur an... wie hieß der Lehrer doch?«
»Dachdecker.«
»Ja, genau an den denke ich.«
»Und ich wollte so lange wie möglich nicht an ihn denken«, seufzte
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