Spatz mit Familienanschluß
das aussah wie eine Befestigungsanlage
Am Tisch räumte Mutter die Papierservietten weg und beauftragte Stefanie, sie in die Mülltonne zu werfen, dann wandte sie sich an Kathrin: »Viel Freunde wirst du mit deiner Art, andere hochzunehmen, nicht gewinnen«, sagte sie ruhig.
»Was hab ich denn gesagt?«
»Siehst du, du weißt es nicht einmal. »Wahrscheinlich rauben ihm Abschiedsschmerz und Liebeskummer den Appetit«, hast du gesagt. Warum respektierst du seine Gefühle für Anne nicht? Markus war tieftraurig, weil er sie nicht mehr gesehen hat, muß man da derart oberflächlich und boshaft mit ihm umspringen? Und dann das mit Stefanie. Ist das notwendig?«
»Ihr versteht alle keinen Spaß«, rief Kathrin ziemlich heftig.
»Wenn jeder deiner Späße anderen wehtut, dann verstehe ich das wirklich nicht.«
»Und daß Stefanie eine Semmel weggefressen hat, dazu sagst du nichts?«
»Ach, hast du jetzt vielleicht hungern müssen?« Markus näherte sich den beiden. »Ein Glück«, sagte er, »daß ich das mit dem Örtchen nicht vergessen hab. Wie lange fahren wir jetzt noch?«
Vater, der den Straßenatlas studiert hatte, hob den Kopf. »Wie lange noch? Mit drei, vier Stunden müssen wir rechnen. Aber vorher wollen wir das machen, was wir immer auf der Heimfahrt tun.«
»Essen gehen?« fragte Stefanie, die eben von der Mülltonne zurückkehrte.
»Ja«, sagte Vater. »Jeder darf das haben, was er möchte, ohne auf den Preis zu achten. Das ist noch im Urlaubsgeld drin.«
»Au fein!« rief Stefanie und war bereit, den Ärger mit Kathrin zu vergessen. »Es gibt noch ein Festessen.«
»Gebongt«, sagte Markus und setzte sich diesmal in die Mitte des Rücksitzes.
»Was heißt gebongt?« fragte Stefanie.
»Das heißt soviel wie notiert oder beschlossene Sache.«
»Warum redest du eigentlich immer mit dir?«
»Ach so, rede ich mit mir?«
Stefanie schwieg, und Kathrin war ohnehin böse. Als Vater das vom Abendessen im Restaurant sagte, war sie fest entschlossen, nichts zu essen und nichts zu trinken. Jetzt nahm sie sich vor, nur eine Portion Salzkartoffeln zu bestellen oder ein halbes Paar, also ein einziges Wiener Würstchen, vielleicht auch ein halbes gekochtes Ei, oh, es gab eine Menge Möglichkeiten. Sie konnte, wenn sie so wenig aß, ja immer noch sagen, sie habe keinen Appetit, oder noch besser, ihr sei schlecht.
»Von der Fahrt?« würde Mama fragen.
Nein, nicht von der Fahrt her, sie habe irgendwo Schmerzen. Dann sagte Vater möglicherweise, dann wollen wir schnell eine Kleinigkeit essen, möglicherweise müssen wir mit ihr zum Arzt.
Das Gesicht von Stefanie mochte sie dann sehen. Was würde die sich da ärgern! Schade, daß sie Markus damit nicht treffen konnte, der würde sagen, gut, dann bestelle ich gar nichts, ich hab sowieso keinen Hunger. Und Mama, die ihr die Rückfahrt verdorben hatte und die sich bestimmt auf das Urlaubsabschiedsessen gefreut hatte, Mama würde sehr enttäuscht sein, und das geschah ihr recht.
»Seid ihr müde?« fragte Mutter nach einer Weile ihre Kinder.
»Gar nicht«, antwortete Stefanie.
»Ich bin auch nicht müde«, meldete Markus.
Kathrin schwieg und hoffte, ziemlich blaß und leidend auszusehen.
»Wie steht’s mit dir, Kathrin?«
»Ich find’s hier hinten zu dritt ein wenig eng«, antwortete sie. »Markus macht sich sehr breit und drückt mich in die Ecke.«
»Ausgerechnet der Dünnste? Du armes, zur Seite gedrängtes Kind«, sagte Mutter übertrieben bedauernd, was Kathrin wieder ärgerte.
»Ich hab genug Platz«, stellte Stefanie fest. Und zu Kathrin gewandt fuhr sie fort: »Du übrigens auch. Das kann man sehen.«
Warte nur, wenn wir ins Restaurant gehen, dachte Kathrin, und sie nahm sich vor, daß ihr gleich nach dem Aussteigen schwindlig werden würde. Vielleicht gingen sie dann nicht einmal ins Restaurant hinein! Als sie auf dem Parkplatz des Restaurants hielten, war Kathrins große Stunde gekommen. Sie konnte zunächst nicht aussteigen, weil sie starkes Ohrensausen hatte. Nur mit Vaters Hilfe kam sie vom Sitz hoch an die frische Luft. Jetzt erfaßte sie ein Schwindelgefühl, und sie mußte sich an der offenen Wagentür anklammern. Sie stöhnte leise und wartete darauf, daß der Restaurantbesuch abgeblasen würde.
Vater jedoch reagierte ganz anders, als es in ihrem Plan vorgesehen war. Er sagte nicht, also gut, dann lassen wir das Essen, damit wir schneller daheim sind. Nein, er sagte: »Geh ein bißchen auf und ab, dann wird es dir gleich besser gehen.
Weitere Kostenlose Bücher