Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
in den Sinn, während ich durch die Dünen stapfte und meine Schritte zurückverfolgte.
Joan war ebenfalls voller Schwung. Die Gestaltung des neunten Stadiums wurde ihr so klar, daß sie sich kaum mehr zurückhalten konnte, mich ständig anrief, um mir eine neu formulierte Zeile oder einen besser ausgearbeiteten Absatz vorzulesen. Erfüllt von einem wahren Feuereifer, schrieb sie einen Brief an ihren Lektor bei Norton und teilte ihm mit, daß sie etwas Wichtiges entwickeln würde.
Aber dann verging ein Monat und noch einer, ohne daß sie ein Wort von ihm hörte. Sie war insgeheim verärgert, teilte aber zum Glück meine Befürchtung nicht, daß ihre Zeit vorbei sein könnte – daß sich das Ansehen, das sie und Erik zu dessen Lebzeiten genossen hatten, nach dessen Tod verflüchtigt hatte. Über ältere Menschen gibt es eine Menge Vorurteile in dieser Gesellschaft, und ich konnte nicht anders, als mir vorzustellen, daß die Leute in ihrem Verlag sie als eine alte Frau im Schaukelstuhl betrachteten, die nur die Zeit totschlug und keinerlei Motivation hatte. Doch diesmal behielt ich meine Gefühle für mich.
Und dann rief eines Tages, als wir gerade beim Mittagessen saßen, ihr Lektor an, zeigte großes Interesse, und Joan wurde so lebhaft, wie ich sie selten gesehen hatte.
|164| »In zwei Wochen?« fragte sie, griff rasch nach ihrem Kalender. »Das läßt sich einrichten. Ja, Mittwoch klingt gut. Halb zwölf? Das wäre durchaus machbar. Bis dann«, und damit legte sie auf.
»Also, fährst du mich hin?« fragte sie, wobei sie mich direkt anblickte. »Ich bin mir nicht zu schade für einen kleinen Ausflug nach New York. Was meinst du? Ich glaube, es ist die einzige Möglichkeit, die Sache unter Dach und Fach zu bringen.« Und dann versüßte sie mir den Vorschlag. »Außerdem wollte ich dich schon lange meinem Lektor vorstellen. Du könntest meine zusätzliche Ausrede sein.«
Kaum hatte ich zugestimmt, ging sie zu ihrem Kleiderschrank im Schlafzimmer. Wie jede Frau, die entschlossen ist, Eindruck zu machen, suchte sie als erstes ihr Lieblingsjacket heraus, um dann zu überlegen, womit sie es kombinieren wollte. Danach richtete sie ihren Blick auf mich.
Es reichte nicht, daß ich sie fahren sollte; auch ich hatte mich entsprechend auszustaffieren. »Das ist dein Verlagsdebüt«, teilte sie mir mit. »Du mußt nach etwas aussehen.«
»Ich dachte, ich wäre nur die Fahrerin.«
»O nein. Du brauchst irgendwann einen Verleger. Hier bekommst du deine Chance. Du hast die innere Arbeit geleistet, aber du mußt auch in deiner äußeren Erscheinung zeigen, wie sicher du geworden bist. Es geht um Integration, Liebes. Die Kleidung, die du bei deinem Vortrag in der Bücherei getragen hast, spiegelte weder im entferntesten deine wahre Natur wider, noch betonte sie deinen Körper. Du scheinst dich hinter bauschigen Kleidern und langem Haar zu verbergen.«
»Wirklich?« meinte ich, leicht gekränkt, obwohl ich den Verdacht hatte, daß sie vollkommen richtig lag.
»Du stellst dich nicht dar. Du hast es mit Menschen zu tun. Es wird Zeit, daß du reifer aussiehst und zeigst, welche Hochachtung du vor dem hast, was du tust.«
|165| »Aber das ist es ja – was tue ich denn? Ich habe ja bisher noch keinen wirklichen Beruf.«
»Du bist Schriftstellerin, das ist dein Beruf. Der Genrewechsel ändert doch nichts an der Tatsache, daß du seit zwanzig Jahren alle möglichen Geschichten geschrieben hast. Ich finde, diese Tätigkeitsbeschreibung reicht völlig aus für eine Schriftstellerin.«
Es tat gut zu hören, daß jemand meine Arbeit anerkannte. Bis vor kurzem hatte ich nur genug Stoff produziert, um damit auf erträgliche Weise meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber Joan schien höhere Ambitionen für mich zu haben, und das war faszinierend.
»Wenn ich irgendwo erscheine«, fuhr sie mit ihrer Rede fort, »achte ich sorgfältig darauf darzustellen, wer ich bin, und du wirst anfangen, dasselbe zu tun. Ich möchte, daß sie dich in New York ernst nehmen.«
Diese Idee hatte natürlich was, aber mein Kopf wird immer vollkommen leer, wenn es um Stil geht. Sich um Kleidung und Haare Gedanken zu machen, kam mir wie etwas vor, das man am besten in der Jugendzeit zurückließ.
»Entweder achten die Menschen nicht auf ihre Kleidung und riskieren es, mißverstanden zu werden, oder sie achten zu sehr darauf und riskieren es, als unaufrichtig zu gelten. Ich will nicht darauf hinaus, daß du eine Fassade brauchst. Es geht nur darum,
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