Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
Ehe schal geworden. Es hatte mehrere Todesfälle in der Familie gegeben, und meine Karriere als Kinderbuchautorin schien auf dem absteigenden Ast zu sein. Aber im Grunde genommen lief es darauf hinaus, daß ich nicht herausfinden konnte, wie ich wachsen und mich verändern sollte, ohne mich vom Vertrauten zu entfernen.«
|158| »Das klingt ziemlich selbstsüchtig«, hakt er nach. »Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?«
»Eigentlich nicht«, erwidere ich rasch und bin über diese Annahme etwas verärgert. »Ich habe stets alle Worte abgelehnt, die mit
ist
enden. Kommunist, Marxist, Terrorist... sie kommen mir alle wütend und schroff vor. Ich denke, wenn ich mir an diesem Punkt eine Bezeichnung geben müßte, dann würde ich mich eine Befürworterin weiblicher Energie nennen. Wissen Sie, diese Welt, in der wir leben, ist fast ausschließlich von Männern entworfen worden. Nicht daß ich etwas gegen Männer habe, aber unsere Institutionen sind etwas aus dem Gleichgewicht – meinen Sie nicht auch?« Er reagiert nicht, doch viele andere beginnen zu nicken. »Was mich angeht, ich habe hart gearbeitet, bin zu kopflastig geblieben und dabei ›männlich‹ geworden. Irgendwas fehlte. Ich bin zu der Auffassung gekommen, daß das, was sich verflüchtigt hatte, meine weiche, intuitive, instinktive Seite war. Danach habe ich in Wirklichkeit gesucht, und ich glaube, ich habe sie wiedergefunden.«
Das Publikum reagiert – klatscht, nickt und strahlt. Ich sollte am besten aufhören, solange ich im Vorteil bin, denke ich, und dann hebt sich noch eine Hand.
»Ging es bei der Wanderung darum, Ihre körperliche Leistungsfähigkeit oder Ihre emotionale Ausdauer zu testen?« fragt eine gutaussehende Frau in Joggingkleidung.
»Um beides, würde ich sagen. Beim Sonnentor anzukommen, zu wissen, daß ich das Ziel erreicht hatte, war in der Tat erregend, aber es ging dabei nicht um das Gefühl, etwas zu gewinnen oder zu verlieren. Es ging eher um das einzigartige Erlebnis einer neu gefundenen Beziehung zu mir selbst und endlich zu fühlen, daß mein Körper, meine Seele und mein Geist miteinander verbunden sind.«
Harriet, die in der Nähe gestanden hat, kommt zum Glück zum Podium, bevor eine weitere Frage gestellt werden kann, |159| und beendet so die Veranstaltung. Als ich meine Sachen einsammle, umringen mehrere aus dem Publikum das Podium, wollen Gedanken oder weitere Fragen anbringen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, daß Joan das alles in sich aufnimmt. Ihre Reaktion auf den Auftritt des heutigen Nachmittags ist mir am wichtigsten. Als sich die Menge zerstreut, winkt Joan mir von hinten im Raum zu und kommt nach vorne. »Es wird Zeit, meine Liebe. Wir sollten gehen«, sagt sie, verschafft mir damit eine Ausrede, mich zu entfernen.
»Zu dir oder zu mir?« frage ich.
»Ich finde, wir sollten einen Spaziergang am Strand machen,« schlägt sie vor. »Es ist ein wunderschöner Tag, und wir führen unsere besten Gespräche immer am Strand, meinst du nicht auch?«
Sobald wir dort sind, verschwenden wir keine Zeit, ziehen unsere Sandalen aus und krempeln die Hosenbeine hoch. Ich greife nach Joans Arm, und wir gehen über den Plankenweg zum Ufer. Die Brandung ist aufgewühlt, schaumgekrönte Wellen rollen heran, so weit ich sehen kann – ein jubilierendes Meer, passend zu all der aufgeputschten Energie, die ich im Moment in mir spüre. »Also, wie fandest du es?« frage ich begierig.
»Die Menschen sind beeindruckt, davon zu hören, daß sich in diesem ungeduldigen Zeitalter jemand die Zeit nimmt, nicht weniger als das Territorium des Seins zu erforschen.« Ich merke, wie ich breit lächele. »Du hast ihnen etwas Einzigartiges mitzuteilen, meine Liebe. Die Menschen sind ganz verrückt nach Abenteuern, und wenn sie sich selbst nicht dazu aufraffen können loszuziehen, dann werden sie sich damit zufriedengeben, sie stellvertretend durch andere nachzuerleben.«
»Was habe ich denn eigentlich wirklich gesagt? Es klingt albern, aber es ist bereits alles verschwommen.«
»Du hast alle wichtigen Punkte berührt – das Bedürfnis nach Unabhängigkeit, die Wichtigkeit des Alleinseins, den Wunsch, |160| deine Persönlichkeit wiederzufinden, in der Gegenwart zu bleiben, deine Sinne in Anspruch zu nehmen, deine Gedanken und Gefühle auf deinen Körper auszurichten.«
»Das hab ich alles gesagt? Gut. Dann habe ich die Lektionen wirklich in mich aufgenommen.«
»Welche Lektionen?«
»Deine«, antworte ich verschmitzt. »Du bist es,
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