Spaziergang im Regen
oder Britney Spears?«
Shara musste lachen. »›Wir‹ sprechen von Pink Floyd, wenn Sie es genau wissen wollen. Bei Sarah McLachlan habe ich das gleiche Problem wie bei Johann Sebastian«, sie wies aufs Radio, »zu beruhigend – im besten Fall, wenn sie mich nicht gleich zum Weinen bringt. Und beides ist nicht wirklich das, wonach mir beim Fahren zumute ist.«
»Was ist denn schlecht an beruhigend?« Jessa schaltete einen Gang zurück und überholte dann einen Minivan, der vor ihr ausgeschert war, nur um dann langsamer zu werden, als ob der Fahrer nach einer Parklücke Ausschau hielt.
»Das hier!« erwiderte Shara, während sie dem gedankenverlorenen Fahrer des Minivans einen wütenden Blick schenkte. »Idiotische, rücksichtslose Fahrer, bei denen ich nicht die Energie aufbringen kann, zu hupen oder ihnen den Stinkefinger zu zeigen, wenn die Musik zu entspannend ist.« Das Bach-Stück war seit einigen Minuten vorbei, und nun ertönte Geigenklang aus den Lautsprechern. »Ich meine, wir hören uns hier Paganini an, und das wird mir vermiest durch meine Mordgelüste für die anderen Autofahrer!«
Jessa lachte, was Shara zum Lächeln brachte. »Die kommen nur daher, weil das Capriccio zu quirlig ist«, gab Jessa zu bedenken.
»Dann dürfte ich zu nichts anderem als Grabgesängen fahren, wenn das der Fall ist.«
Jessa lachte vergnügt. »Wahrscheinlich. Aber was Sie da gesagt haben, passt zu meiner Theorie über Verkehrsunfälle.«
»Ach ja, und wie lautet die?«
»Dass mehr Unfälle durch den Genuss von Musik als von Drogen oder Alkohol verursacht werden.«
»Das soll ein Witz sein, oder?«
»Nein, das meine ich ganz ernst. Die meisten der rasenden jungen Kerle spielen laute Tanz- oder Rockmusik. Ich glaube, es würde weitaus weniger gefährlich gefahren, und es gäbe weniger Unfälle, wenn alle dazu gezwungen werden könnten, Chopin zu hören.«
Shara konnte sich nicht mehr beherrschen und brach in Gelächter aus.
»Lachen Sie, soviel Sie wollen, aber das staatliche Gesundheitssystem könnte Milliarden in der Notfallmedizin einsparen, wenn mein Ratschlag befolgt würde. Wussten Sie, dass Chopin fast alle seine Stücke fürs Klavier geschrieben hat? Wem ist schon danach loszubrettern oder in einer Kurve zu überholen, während er sich ein Klaviersolo anhört?«
Auf dem Rest der Fahrt zu Sharas Haus erläuterte Jessa mit einem Augenzwinkern, wie ihre Theorie in die Praxis umgesetzt werden könnte, während Shara durch gezielte Nachfragen herausfand, dass Jessa das Ganze bereits ziemlich ausführlich durchdacht hatte. Nach einer Weile stimmte Shara ein und machte Vorschläge, wie beruhigende Musik in Autoradios gefüttert werden könnte, die George Orwell zu aller Ehre gereicht hätten. Jessa brummte zustimmend und gratulierte ihr dazu, dass ihr endlich die Augen aufgegangen waren.
»Dort drüben, auf der linken Seite.« Shara zeigte auf ein etwas von der Straße zurückgesetzt liegendes Haus in georgianischem Baustil mit einer roten Backsteinauffahrt, die von einem ordentlichen Rasen und kunstvoll angeordneten, blühenden Büschen gesäumt war.
Jessa bog in die Auffahrt, stellte den Motor ab und setzte sich so, dass sie Shara besser ansehen konnte. »Das hat Spaß gemacht.«
»Ja, fand ich auch.« Shara lächelte Jessa an und nahm das vom Wind zerzauste Haar und die warmen braunen Augen der Frau in sich auf, die sie so unerklärlich nervös machte. »Danke, dass Sie mich eingeladen haben mitzukommen. Das mussten Sie ja nicht.«
Jessa wandte den Blick ab und zuckte mit den Achseln. »Sie sind nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte, also dachte ich mir, wir sollten etwas mehr Zeit miteinander verbringen, damit Sie Gelegenheit bekommen, herauszufinden, dass ich nicht das Miststück bin, für das ich mich am Anfang ausgegeben habe.«
»Sie hatten sicher gute Gründe, das Schlimmste anzunehmen«, räumte Shara höflich ein. »Wir stehen im Licht der Öffentlichkeit und treffen Menschen, die sich auf eine bestimmte Art und Weise uns gegenüber verhalten, eben weil wir berühmt sind. Und wir haben Vorbehalte gegen Menschen, weil wir annehmen, dass sie aus einer Bekanntschaft mit uns nur einen Vorteil schlagen wollen. Aber ich habe wirklich keine Hintergedanken, Jessa. Ich möchte einfach nur Ihre Lebensgewohnheiten verstehen, damit ich Ihnen im Film gerecht werden kann.«
Jessa drehte sich ihr wieder zu, unverhüllte Verletzlichkeit lag in ihren Gesichtszügen. »Aber ich bin . . . ein Mensch mit
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