Spaziergang im Regen
sie nicht erkannt haben, das ist Shara Quinn, nominiert für einen Oskar für Gegen den Staat .«
Für einen Augenblick war es ganz still, dann drehten sich alle nach der zierlichen Frau mit dem irischen Akzent um. Jessa grinste, während Shara nach Antworten suchte, manche Fragen abwiegelte, und selbstironisch auf allzu ausufernde Komplimente reagierte.
Schließlich rette Jessa sie. »Worum es sich hier dreht, ist, dass ein ›Star‹ etwas Künstliches ist, zum großen Teil von den Medien erschaffen. Frau Quinn ist eine Schauspielerin, die lange Jahre ihr Fach studiert und bei relativ unbekannten Filmen mitgearbeitet hat, um ihre Kunst zu perfektionieren. Die Stars, die am beständigsten sind – in jedem kreativen Bereich –, haben ein Talent, an dem sie immer weiter arbeiten, und das sie pflegen. Die meisten haben für ihre Kunst enorme Opfer erbracht.«
Das Gespräch schwenkte wieder um zur Musik, aber eine neue Begeisterung lag im Raum, und Jessa fand, dass der kleine Umweg ein wenig Glanz auf ihre Bemühungen geworfen hatte. Diese Bemühungen waren im Grunde darauf gerichtet, eine Gruppe von Kindern zu überzeugen, einen Teil ihrer Freizeit aufzugeben, in der sie mit ihren Freunden spielen oder Fernsehen gucken könnten, um sie dem Erlernen einer Kunst zu widmen, die als Beruf nur mittelmäßig bezahlt wurde und deren Erfolge sich erst nach langen Jahren ausdauernden Übens zeigen würden.
Kapitel 6
D ie Sonne senkte sich dem Horizont entgegen, als Jessa in Richtung Highgate fuhr, um Shara nach Hause zu bringen. Sie hatten kaum etwas gesagt, nachdem Shara ihre Adresse genannt und den Weg beschrieben hatte, sondern in Gedanken den Ereignissen des Nachmittags nachgehangen. Shara war überraschend gerührt von der Erfahrung. Jessas großzügige Einstellung hatte so überhaupt nicht zu ihrer Erwartung gepasst, eine Primadonna vorzufinden.
Während Shara weiterhin darüber nachdachte, raunte Jessa plötzlich »Unglaublich« und bremste, um einer Limousine mit Chauffeur auszuweichen, die vor ihr ins Schlingern kam. Shara lächelte; Jessa war eine gute Fahrerin, die selbstsicher durch den Abendverkehr manövrierte und bemerkenswerte Geduld mit der Rücksichtslosigkeit und Unachtsamkeit der anderen Fahrer auf der Straße zeigte.
Shara wandte den Kopf, um sie anzuschauen. Die späte Nachmittagssonne fiel schräg ins Cabrio auf Jessa und verwandelte ihre Haut in leuchtendes Gold und ihre Augen in Bernstein. Als sie ihren Kopf leicht drehte, warfen die Wimpern einen dramatischen Schatten auf den Wangenknochen. Sie schaute in den Seitenspiegel und wechselte ruhig die Spur, um von der Limousine wegzukommen.
Shara wusste, dass sie starrte, und sah sich nach einer Ablenkung um. Das Auto war im Zustand eines Vorführwagens, abgesehen von dem Oakley-Brillenetui, in dem Jessas Sonnenbrille lag, und einer ungeöffneten Rolle Pfefferminzbonbons. Es gab nichts, mit dem sie sich beschäftigen konnte, also schaltete sie das Radio an, neugierig darauf, welche Art Musik Jessa beim Autofahren hörte.
Die Töne eines Bach-Concertos erklangen, und Shara lächelte. »Ich mag Ihren Geschmack, aber wieso hört sich die Musik in meinem Auto nie so gut an?«
Jessa schaute etwas verlegen drein. »Die Anlage ist eine Spezialanfertigung. Sie mögen Bach?«
»Ja. Aber ich wundere mich, so was Gewöhnliches wie die Brandenburgischen Konzerte in Ihrem Wagen zu hören. Ich hatte etwas Komplexeres und Moderneres erwartet, vielleicht Schostakowitsch?«
Jessa grinste. »Na danke, die anderen Autofahrer sind mir schon komplex und modern genug. Beim Fahren bevorzuge ich Schönes und Entspannendes. Allerdings habe ich nicht generell etwas gegen Schostakowitsch. Wenn ich zum Beispiel raus aufs Land zu meinem Haus fahre, höre ich mir gern seine Präludien und Fugen an.« Sie warf Shara einen Blick zu, ehe sie sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Und Sie? Was hören Sie denn beim Fahren?«
»Normalerweise entschieden Lebhafteres als Sie, das steht schon mal fest.«
»Wie zum Beispiel?«
»Vorwiegend Ouvertüren oder Auszüge aus Opern. Und wenn ich mir Schostakowitsch anhöre, dann eher seine dritte oder fünfte Symphonie. Ansonsten gar keine klassische Musik, obwohl mich das in Ihren Augen sicher zur Banausin stempelt.«
Jessa überkam ein leichtes Schuldgefühl, weil Sharas spottende Aussage sie an ihr Gespräch mit Lisa erinnerte. »Es kommt darauf an, von welcher Art nicht-klassischer Musik wir sprechen – Sarah McLachlan
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