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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Titel: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Gottfried Seume
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sollte. Da ich eben nicht viel zu tun habe, will ich Dir die Stelle ein wenig vorschulmeistern. Merkur kommt von seinem Vater auf der Ambassade zu Frau Dido hierher. Die Verse heißen, wie sie in meinem Buche stehen:

    –
iamque volans apicem et latera ardua cernit
    Atlantis duri, coelum qui vertice fulcit;
    Atlantis, cinctum assidue cui nubibus atris
    Piniferum caput et vento pulfatur et imbre;
    Nix humeros infusa tegit: tum flumina mento
    Praecipitant senis, et glacie riget horrida barba.

    Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch; aber er bringt auf dem obersten Scheitel Sturm und Regen, läßt den Schnee auf den Schultern liegen, Flüsse aus dem Kinn strömen und weiter unten den Bart von Eis starren. Das ist nun alles ziemlich umgekehrt, wenn ich meinem bißchen Erfahrung glaube. Ich weiß nicht, was Heyne aus der Stelle gemacht hat. So weit oben werden schwerlich noch Fichten wachsen. Ich überlasse es Dir, Deinen Liebling zu verteidigen, ich selbst bleibe hier in meiner Hermeneutik etwas stecken. Wer in seinem Leben keine hohen Berge gesehen und bestiegen hat, nimmt so etwas freilich nicht genau. Schade um die schönen Verse. Diese Nacht begegneten uns viele französische Schiffe, die ihre Landsleute von Tarent holen wollen. Alles ist ungeduldig, bald am Lande zu sein; aber Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht gegeben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr großen Probe, und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der russische und englische Gesandte sind auf dem großen Schiffe; wir haben also noch die Ehre, ihretwillen recht langsam zu fahren, da das Kriegsschiff schwerer segelt. Die Geschichte des Tages auf unserer Flotte sagt eben, daß der Leibgaul der russischen Exzellenz gefährlich krank geworden ist. Wie viele von den Leuten seekrank sind oder sterben, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit; aber bedenke nur, der Leibgaul des russischen Gesandten! – Der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bei Tische dies und jenes; sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapolitanischen Regierung habe. Es waren einige sybaritische Herren des Hofes bei uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und einzugestehen, was Stoff zu Ärgernis und Sarkasmen gab. Meine Taziturnität nahm daraus die Quintessenz. – Es ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden, der Wind bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sei es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt; ich lege mich also ruhig nieder und schlafe.

Neapel

    Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns hereingebracht. Nun machte ich in drei Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und wandelte in mein altes Wirtshaus auf Montoliveto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb, denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bei einem andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte, daß ich sehr viel zu Fuße herumlief und laufen wollte, ob ich mich gleich erbot, einige Karlin mehr als gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte ich keinen haben.
    Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröte auf nach Pozzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde gleich beim Eingange in Beschlag genommen. Ich ließ mir gern gefallen, mich in dem Meerbusen von Bajä herumzurudern und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus anderen Büchern, ich will Dich also mit ihrer Beschreibung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomierte, wir würden deswegen in unsern Konjekturen nicht weiterkommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des Caligula machen soll, weiß ich nicht; die Meinung der Antiquare, daß es ein Molo gewesen sein soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch dreizehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke halten. Die Entfernung von Pozzuoli nach Bajä ist nicht so groß, daß es einem Menschen wie das Stiefelchen nicht

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