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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Titel: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Gottfried Seume
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freilich nicht der Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen können. Seines Wertes sich bewußt, fest rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten aussahen, war äußerst strenge gegen sich und sodann auch in seinen Forderungen gegen andere und sprach skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet und unstreitig nicht so tadelhaft, als sie an der Seine gewesen wäre; aber auch in diesem Stücke verleugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerei gezeigt haben, weggefahren sein, ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Dies ist nun gewiß wieder ein barockes Quidproquo, denn Geiz war so wenig in seinem Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muß auch den Teufel nicht schwärzer machen als er ist; und ich bin fest überzeugt, daß Suworow durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wüterich war, wenn er auch eine starke Dose Exzentrizität hatte und mit der Welt im Privatleben oft Komödie spielte, sowie man seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weißt, daß ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe, und kannst also in meinen Äußerungen nichts als meine ehrliche Meinung finden. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität gegen den Helden des Tages, Bonaparte, der auf seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu Tausenden niederkartätschen ließ.
    Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte, nur noch sechstausend Mann über den Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht ebenso fürchterlich gegen die Franzosen ausgefallen wie nun gegen die Russen. Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen habe, gestehen das nämliche ein und sagen, bloß die Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen Manövers am Unterrhein ging, sei die Ursache ihres Glücks gewesen; und sie bekennen, daß sie im ganzen Kriege meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben. Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen der Russen erkundigt, und man gibt ihnen überall das Zeugnis einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als abscheulich geschildert hat. Man beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art, Krieg zu führen, dem Lande entsetzlich drückend sein muß, da sie selten Magazine bei sich haben und nur zusammentreiben, was möglich ist. Das geht einmal und zweimal, das dritte Mal muß es gefährlich werden, welches die Schlauköpfe auch sehr wohl wissen. Sie berechnen nur klug, Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck. Dieses ist einigen Generalen und Kommissären und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.
    Ayrolles ist der letzte italienische Ort, und diesseits des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bei den Deutschen. Zwei Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also denken, daß der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rundumher sind Schneegebirge, und der Tessin bricht rauschend von den verschiedenen Abteilungen des Berges herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein, ein
    majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln und rollte sodann furchtbar in das Tal hinunter, durch das ich heraufgekommen war. Ein solches Echo hörst Du freilich nicht auf der Ebene von Lützen.
    In dem Wirtshause zu Ayrolles saß ein armer Teufel, der sich leise beklagte, daß seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daß ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daß es mir nicht schmeckt, wenn andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schneider aus Konstanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen wollte, einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der Teuerung und der Unsicherheit in Italien, daß er

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