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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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habe ich vom Beten einen Dauermuskelkater. Ja, es ist nicht ohne, im Fitnesscenter des Herrn.
    27.6.
    Liebes Tagebuch, schon wieder kommt jemand weinend aus dem Assessment-Center und hat die FM4- Aufnahmeprüfung nicht bestanden. Es ist unglaublich deprimierend. Pro Jahr bewerben sich etwa 25.000 junge, prachtvolle und hochintelligente Menschen bei unserem Pseudopunksender, um ein einjähriges unbezahltes Praktikum zu machen und danach ohne Anspruch auf Weiterbeschäftigung rausgeworfen zu werden. In diesem Jahr wird man von Chefkontroller Blumenau gedemütigt und allen anderen Mitarbeitern ausgenutzt. Man erledigt niedrigste Dienste, die auch ein dressiertes Huhn erledigen könnte, wird nie gelobt und stets getadelt. Dafür hat man kein Wochenende und keinen Urlaub und eigentlich auch keinen Dienstschluss. Für FM4- Feste muss man trotzdem Eintritt zahlen und FM4- Shirts teuer kaufen. Trotzdem bewerben sich alljährlich Heerscharen von gutaussehenden, gesunden, belesenen und originellen Menschen, um sich dieser Tortur zu unterziehen. Und wer das große Glück hat, ausgesiebt zu werden, der dankt nicht seinem Herrn, sondern für den stürzen Welten zusammen. Ich verstehe es nicht, liebes Diary. Ich kann es nicht verstehen.
    Der Aufnahmetest, um zum Aufnahmetest zugelassen zu werden, mit dem man sich für die Vorausscheidung zum Aufnahmetest qualifizieren kann, um dann in die engere Wahl zum FM4- Aufnahmetest fürs Assessment-Center zu kommen, nun, dieser Aufnahmetest ist knüppelhart und wird nur noch übertroffen von den folgenden Aufnahmetests. Wer es schließlich tatsächlich his zu FM4 geschafft hat, nun, der weiß mehr, als es zurzeit Wissen auf der Welt gibt. Stephen Hawking ist ein Dummkopf gegen jede FM4- Praktikantin und Rüdiger Safranski ein Analphabet gegen jeden FM4- Praktikanten. Was Musikwissen betrifft: Wer bei FM4 anfängt, weiß nicht nur mehr über Musik als Diedrich Diederichsen, sondern auch mehr über Diedrich Diederichsen als Diedrich Diederichsen selbst. Jeder Spex -Journalist wirkt gegen unsere jungen unbezahlten Kollegen wie ein Phil-Collins-Fan, und dass jede Praktikantin eine begeisterte und kluge Cineastin ist, muss ich wohl nicht erwähnen. Gegen unsere Praktikanten ist Wim Wenders ein Anfänger und Lars von Trier ein Soap-Prolet. Und humormäßig sind unsere Praktikanten Kapazunder, so was hat die Welt noch nicht gesehen. Gegen deren schnellen, klugen Wortwitz macht Harald Schmidt absolutes Unterschichtenfernsehen. Nun ja, ich will nicht übertreiben, aber es ist wirklich so. Wie lautet die Steigerungsform von Genie? Muss ich mal nen Praktikanten fragen.
    28.6.
    Liebes Tagebuch, Unterhaltung ist kein Honiglecken, sondern harte, knallharte Arbeit. Ich habe mich viel mit Poetik und Hermeneutik beschäftigt. »Das Komische«, erschienen im Wilhelm Fink Verlag, Blumenbergs »Komik der reinen Theorie«, Fuhrmanns »Soziale Grammatik der hellenistisch-römischen Komödie«. Natürlich Jauß, der liebe Hans Robert Jauß »Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden«. Alles nicht nur mehrmals gelesen, sondern aufgesaugt. Auswendig gelernt, mir selbst eingehämmert, einen theoretischen Überbau geschaffen, sodass ich einfach weiß, was komisch ist. Das unterscheidet mich eben auch von billigen Komikern auf Sat.1, dass ich mich intellektuell mit Humor auseinander setze. Oft diskutiere ich mit Kollegen Stermann nächtelang Preisendanz und seine feine Arbeit »Zum Vorrang des Komischen bei der Darstellung von Geschichtserfahrung in deutschen Romanen unserer Zeit« und Stermann schlägt mir Wolf-Dieter Stempels Standardwerk »Ironie als Sprechhandlung« um die Ohren. Dabei habe ich doch schon rote Öhrchen, vor Aufregung und Begeisterung über »Satire und Groteske«, die herrliche Arbeit von Dimitrij Tschizewskij. Stermann und ich haben mal 68 Stunden durchdiskutiert, die Zeit haben wir vergessen, trinken, essen, schlafen – alles vergessen, weil unsere Diskussion so anregend war. Nämlich: »Vom Problem der Grenzziehung zwischen dem Lächerlichen und dem Komischen« – Ein unendliches Thema.
    Natürlich wirkt es oft so einfach, so »aus dem Ärmel geschüttelt«, ein Witz, eine Pointe, eine Schmunzelei. Dabei ist es vor allem Wissen und Humorbildung, die es braucht, um im Humorbereich tätig zu sein, liebes Tagebuch. Wie ein Arzt, der wissen muss, welche Arterie er ziehen muss, um die Krampfader zu glätten, so müssen auch wir Humorarbeiter genau Bescheid wissen über die Wirkung von

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