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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Haaren und langen Fingern, wir haben viel gestohlen damals. Aber nur Sachen, die uns gehörten. Überall stank es nach Essig. Wir hielten uns gegenseitig die Nase zu. Auf die Idee, dass sich jeder selbst die Nase zuhalten könnte, kamen wir nicht. Aber wer kommt schon auf solche Ideen in einer Zeit, in der der Faktor Menschlichkeit viel zu lang kommt? Wir hassten alles damals, vor allem Hunde, Essig und das Leben im Freien. Dass wir selten gute Laune hatten, steht auf einem anderen Blatt Papier, das erst noch geschrieben werden muss. Obwohl wir im Freien wohnten, legten wir großen Wert auf Etikette. Kamen die Hunde nachhause, mussten sie sofort die Schuhe ausziehen und beten. Auch wir falteten unsere Hände und machten aus ihnen so kleine japanische Ziervögel und Schiffe. Das freute die Hunde, um nicht zu sagen, dass die Hunde eine Mordsgaudi hatten. Natürlich rochen auch unsere Hände nach Essig, das trübte die Freude, die wir uns aber nicht nehmen ließen. Die Hunde träumten davon, ein Musical aufzuführen, nämlich »Cats«, deswegen mussten wir 43 Katzenkostüme nähen. Und tatsächlich: nach einer Probezeit von zwei Monaten kam es zu einer interessanten Vorstellung. Die Hunde nahmen es uns krumm, dass wir in einem Leserbrief an eine Lokalzeitung die Aufführung zerrissen. Es kam zu Schlägereien und wüsten Beschimpfungen: »Sahara, du Trottel. Gobi, go home!« Gott sei Dank starben die Hunde dann an Katzenpest. Wir legten sie in Essig ein und begruben sie. Der Job im Chinarestaurant hatte sich somit erledigt. Wir gaben pflichtbewusst unsere Hundekostüme zurück und mit einer Frühlingsrolle rückwärts verließen wir fröhlich pfeifend das Lokal. Auf zu neuen Abenteuern! Vielleicht arbeiten wir irgendwann mal wieder in einem Chinarestaurant, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    waren wir regelmäßig in der ganzen Welt mit Kind und Kegel unterwegs. Da wir aber keine Kinder und Kegel hatten, ganz zu Schweigen von Geld um zu verreisen, saßen wir immer nur allein zuhause und hörten Musik von Leonardo da Vinci. Da Leonardo da Vinci aber niemals in seinem Leben komponiert hat, hörten wir nichts. Eine gegrillte kleine Garnele war unser einziges Haustier damals. Jahrelang bemühten wir uns, ihr Pfötchengeben beizubringen, aber das schaffte es nicht, dieses kleine gegrillte Mistvieh. Die Garnele konnte überhaupt nichts, außer ein paar Fremdsprachen, einen dreifachen Flickflack am Trampolin und mit den Händen bezaubernde Schattenspiele an die Wand werfen. Außerdem war sie zu ausdauerndem Geschlechtsverkehr fähig, die kleine gegrillte Garnele. Wir konnten das alles nicht. Dafür konnten wir beide Pfötchengeben, so wurden wir drei ein perfektes Team. Wenn Frauen zu Besuch kamen, gaben wir beide Pfötchen, und die kleine gegrillte Garnele vögelte mit dem Besuch bis weit nach Mitternacht. Am Morgen gaben wir artig Pfötchen und verabschiedeten die Damen, während die kleine gegrillte Garnele im Schlafzimmer Salti machte, Fremdsprachenkurse für ausländische Mitbürger gab, was von uns immer wieder kritisiert wurde. Denn sinnvollerweise hätte sie ausländischen Mitbürgern Deutsch beibringen sollen oder Inländern Fremdsprachen. Aber ach, wir trauten uns nichts zu sagen, sondern gaben immer nur brav Pfötchen. Die kleine gegrillte Garnele hatte uns völlig in der Hand, sie war ein Despot. Immerhin sorgte sie für unseren Lebensunterhalt. Sie ging einkaufen, kochte für uns und fotografierte uns in obszönen Posen. Die kleine gegrillte Garnele hatte kreisrunden Haarausfall und gelbe Zähne. Beim Schuheanziehen im Mai 76 bekam sie einen Schlaganfall, das heißt, sie schlug uns windelweich, und wir kamen ins Krankenhaus. Unsere Pfötchen waren gebrochen. Unsere einzige Fähigkeit war somit dahin, und für die kleine gegrillte Garnele waren wir uninteressant geworden. Sie kam uns einmal besuchen, um mit den Krankenschwestern eine Sauerei zu machen. Heute lebt die kleine gegrillte Garnele in Brasilien und will dort den illegalen Musik-Vertrieb bekämpfen. Von solchen Aufgaben konnten wir nur träumen. Damals, im Krankenhaus, die Pfötchen geschient und gegipst.
    Vielleicht werden wir irgendwann mal wieder mit einer sex- und machthungrigen gegrillten Garnele eine Wohngemeinschaft gründen, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch

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