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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Hilfeschreie. Als wir im Studio eintrafen, schauten uns die Damen und Herren Musiker erwartungsvoll und gleichzeitig angewidert an. Schamesrot mussten wir zugeben, dass wir weder Musik noch Text hatten. Universal-Manager Walter Groebchen behandelte uns daraufhin seinem Nachnamen entsprechend. Mit glühenden, brennden Wangen bemühten wir uns um Deeskalation. Damit nicht alle umsonst gekommen waren, schlugen wir vor, einfach »Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord« zu singen, auch weil uns das textlich zum Songcontest passend schien. Noch während der Aufnahme rief das ORF -Songcontest Büro an, um uns zu disqualifizieren, weil es das Lied angeblich schon gibt. »Ja, natürlich gibt's das schon«, versuchten wir uns zu rechtfertigen. »Sollen wir etwa mit einem Lied antreten, das es gar nicht gibt? Luftgitarre oder was?« Wir brachen die Aufnahmesession also ab und betranken uns stattdessen mit den Trompetern des » RIAS -Rundfunkorchesters«. Sie bescheinigten uns beim Trinken weit mehr Talent als beim Singen.
    27.11.2001, 15:32 Uhr
    Haben heute im Tanzquartier mit einem Ausdruckstänzer unsere Choreographie geprobt. Er verlangt von uns, dass wir uns in einer Affengeschwindigkeit über den Boden rollen. Nackt. Ich habe Prellungen und unzählige Quetschungen, weil ich so oft gegen die Betonwände gekracht bin. Ich frage mich, wie wir bei dieser durchgeknallten Choreographie auch noch singen sollen. Vielleicht singen wir aber auch gar nicht, sondern rollen ganz einfach nach Estland. Scheiß auf Rock. Rollen reicht.
    27.11.2001, 22:12 Uhr
    Haben Stermann gerade ins Spital gefahren. Er ist bei der Tanzprobe mit dem Gemächt in eine Steckdose gerast. Das ist es doch alles nicht wert. Der behandelnde Urologe war sehr freundlich. Bis er hörte, dass wir beim Songcontest auftreten wollen. Er wandte sich angeekelt von Stermann ab und ließ ihn allein auf der Bahre zurück. Ich hab ihm einfach Aspirin gegeben, scheint aber wenig zu nützen. Eben war er pinkeln, und plötzlich war das Klo von innen beleuchtet. Stermann pinkelt reines Volt. Was soll's? Er wollte ja unbedingt zum Songcontest.
    12.12.2001
    Enge Freunde, die es immer gut mit uns meinen, haben einen Pfarrer und einen Notarzt geschickt, um uns umzustimmen. Der Pfarrer hat uns Fotos und Tonmitschnitte der letzten Jahre vom Songcontest vorgeführt, um uns von unserem »furchtbaren« Vorhaben abzubringen. Er hat zwei Liter Messwein mitgebracht, um uns zu bestechen, und als das nicht wirkte, gab uns der Notarzt Spritzen in den Kopf. Es ist rührend, wie sehr man sich um uns sorgt. Ärgerlich allerdings finde ich es, dass meine Spritze noch immer in meinem Kopf steckt. Wie sieht das denn aus?
    12.12.2001
    Stermann wurde auf der Straße von einer alten boshaften Frau und ihrem Dackel ausgelacht. Er hat die fixe Idee, dass der Songcontest seine letzte Chance ist. Ich allerdings glaube eher, dass es für mich die beste Chance ist, mich von dem durchgeknallten Ruhrpottaffen endlich zu trennen. Es dürfte spätestens nach dem ersten März kein Problem sein, ihn entmündigen zu lassen. Ich bin dann fein raus, und er wird eingeliefert.
    15.12.2001
    Endlich geht es aufwärts. Wir haben einen Text. Gestern hatte man uns gebucht für eine Heizdecken-Verarschungs-Verkaufsveranstaltung als Heizdecken-Verarschungs-Verkaufsveranstaltungs-Moderatoren für Seniorinnen. Wir sind mit 25 Sudetendeutschen-Omas mit dem Bus nach Brünn gefahren. Dort gab es für jede Omi in einer ungeheizten Holzbaracke ein Glas wässrige Limonade und ein Stück alte Wurst. Dafür musste jede von ihnen fünf Heizdecken kaufen, 99 Euro das Stück. Zurück mussten sie per Anhalter fahren, die Heizdecken umgehängt. Wir zwei bekamen pro Arsch und Nase 1000 Euro Gage. Weil wir neu in der Heizdecken-Branche sind, wussten wir nicht so genau, was wir mit den frierenden Sudetenomas anstellen sollen. Da hatten wir die gute Idee, jede von ihnen einen Liedtext für den Songcontest schreiben zu lassen. Die mit dem besten Text bekam als Preis von uns die einzige funktionstüchtige Heizdecke. Die meisten Texte waren unbrauchbar, für manche wären wir spätestens in Tallinn wegen Wiederbetätigung eingesperrt worden. Wir entschieden uns schließlich für »Das schönste Ding der Welt« von der 83jährigen Hertha Äpfelchen, einer gemütlichen Asthmatikerin, die früher einmal Gefängniswärterin in Graz-Karlau war. Hertha Äpfelchen ist sehr verwirrt und benimmt sich sehr kindisch. Sie entwickelt sich

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