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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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springen. Bei zwei veränderte sich tatsächlich etwas. Wir bekamen Schweißausbrüche, Herzrasen, Panikattacken und Schwindelgefühle. Wir hatten also unsere Krise überstanden und waren ganz die Alten. Leider hatten wir nichts zum Anstoßen, darum stießen wir einfach auf. Und wenig später fanden wir einen neuen Job. Wir beide wurden Dummies bei Autocrashtests, ein ruhiger und sensibler Beruf. Aber wie es das Schicksal so wollte, endete jede Einzelne unserer Autofahrten in einer Wand. Es war frustrierend, wir kamen überhaupt nicht von der Stelle! In einer Kreativsitzung regten wir an, die Wände endlich zu entfernen, aber mit diesem Vorschlag prallten wir erneut ab. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: die Wände kamen weg, dafür fuhren die Autos jetzt gegen uns. Wir beide fühlten uns überfahren und kündigten. Und zwar an, dass wir bald aussteigen werden, obwohl wir gar nicht mehr im Auto saßen. Gott, waren wir verwirrt damals! Wir sahen nur noch die Nachteile dieses Berufs, also die Teile, die nach so einem Crash von uns übrig blieben: abgerissene Arme, Beine, Finger … Ja, vielleicht arbeiten wir wieder mal in der Autoindustrie aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    da fanden wir in der Seidenmalerei ein Ventil für unsere aufgestauten Aggressionen. Dann zerbrachen wir die Pinsel und gingen in die Küche, um dort vor Wut zu kochen. Wir bereiteten Miesmuscheln zu und fühlten uns auch so. Nachdem wir die Schalen aufgegessen hatten, hielten wir uns an die italienische Übersetzung des Wortes Miesmuscheln, »cozze«. Das alles kann wohl nur einer verstehen, der schon einmal frisch verliebt war, und wir waren damals gleichzeitig in eine Synchronschwimmerin verliebt, gleichzeitig. Verstehen Sie diese Ironie?
    Die Frau hieß wie der Mann, der vorgab unser Fleischhauer zu sein, sie half in der Fleischhauerei auch manchmal aus. Seine Frau konnte es nicht gewesen sein, sie sah ihm nämlich gar nicht ähnlich. Vielleicht war es seine Schwester, egal, wir wollten ihr nah sein und verbrachten den ganzen Tag in der Fleischhauerei. Um nicht aufzufallen, verkleideten wir uns als zwei Schweinehälften. Der Laden hatte aber nur einen Haken, also mussten wir zu zweit auf einem hängen, eine, wie uns schien, sehr diskrete, intelligente, reife und erwachsene Art, einer Frau seine Zuneigung zu zeigen. Um 17 Uhr verließ das Objekt unserer Begierde die Fleischhauerei, um im Schwimmbad zu trainieren. Wir hängten uns ab und folgten ihr auffällig, das heißt wir schrien wie am Spieß, fragten sie ständig nach der Uhrzeit und erzählten ihr schweinische Witze, das alles im Schweinehälftenkostüm. Wir vermuten, sie hat sich dabei in uns verliebt. Sie rief nämlich die Polizei, es muss also was Ernstes für sie gewesen sein. Es war aber auch wirklich schwer, sich damals nicht in uns zu verlieben, wir waren so interessant! Wir konnten auswendig mehr als zwanzig ordinäre Witze erzählen und auf Kommando rülpsen, und einmal ehrlich: Wer kann sich diesem Zauber schon entziehen? Die Synchronschwimmerin konnte. Nach drei Jahren vergeblicher Liebesmüh und 46 Anzeigen wegen Belästigung zogen wir uns die Schweinehälftenkostüme endgültig aus und verliebten uns kurze Zeit später gleichzeitig in eine Simultandolmetscherin. Verstehen Sie diese Ironie?
    Vielleicht holen wir irgendwann wieder die Schweinehälftenkostüme vom Dachboden, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    da war ein kleines Maiglöckchen das Einzige, was uns ein bisschen Freude bereitete, neben Weibern, Alkohol, Geld und Sex. Dieses kleine Maiglöckchen nannten wir Mike, weil es uns so an den Boxer Mike Tyson erinnerte. Diese Wucht und dieser Elan, Sie verstehen. Es war die Zeit, als wir Frischmilch unhaltbar fanden. Beruflich kamen wir schön voran, aber privat stagnierte alles: immer noch die gleiche Mutter, den gleichen Bruder, vom Geburtsort und der Herkunft ganz zu schweigen. Das machte uns fahrig und unzufrieden, sodass wir uns ganz auf den Beruf konzentrierten. Wir führten damals ein Pelzgeschäft für Kinder, es hieß »Pelzebub«. Wir verkauften dort Pelze von Leoparden, Bibern, Löwen und Schnecken. Unser Verkaufshit war der sogenannte Greenpeace-Pelz: Ein Pelz mit einem roten Streifen bemalt. Das

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