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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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war das Echtheitszertifikat: nur ein Pelz mit einem roten Streifen war ein echter Greenpeace-Pelz. Mit den Gewinnen unseres Ladens »Pelzebub« eröffneten wir uns die nächste Marktlücke: ein Obstgeschäft für Herren: wir nannten es »Adamsapfel«, dort gab es Melonen, süße Früchtchen, junges Gemüse, Glocken und ordentlich Holz vor der Hütte. Ein Schlaraffenland für richtige Männer. Im »Adamsapfel« verkehrte häufig Dr. Lothar Laken. Ein Professor für Geistes- und Gespensterwissenschaften. Ein unheimlich interessanter Mann, der uns die Welt der Parapsychologie näher brachte: Putzen, Fußball und Trinken. Es war toll, damals im »Pelzebub« und im »Adamsapfel«. Aber privat? Gut wir hatten Spitzenweiber, einen Freundeskreis von insgesamt 80..000 unglaublich guten Freunden, wir wohnten in Schlössern, alle Welt bewunderte und liebte uns, aber sonst? Nichts da, gar nichts, absolute Leere. Wir hatten zwar dutzende Hobbys und interessierten uns für praktisch alles außer Origami, aber daneben? Nichts, war Schweigen und Ebbe. Immerhin ging es uns gesundheitlich hervorragend und wir hatten immer Spaß und konstruktive Gespräche, aber sonst? Absolute Leere, ein tiefes Loch. Eines stand fest, wir mussten uns umbringen, wenn's da nicht mehr gab. Das sollte schon alles gewesen sein? Zuerst brachten wir probehalber unsere Wäsche um, wir kauften einen Strick und hängten sie auf. Wir beerdigten die tote Wäsche auf dem Friedhof der Namenlosen, wir waren ja nicht so blöd und gaben unserer Unterwäsche Namen. Wir ließen ein Requiem komponieren und ein Herr von Huber Trikot hielt die Grabrede und wir lasen sie vor. Also er hielt sie in der Hand, Sie verstehen? Nach unserer Wäsche sollte es jetzt uns an die Wäsche gehen, wir hielten uns schon den Strick an die Schläfen und wollten abdrücken … aber da erblickten wir wieder Mike, unser Maiglöckchen, das konnten wir ihm nicht antun, so lebten wir also gegen unseren Willen weiter … na ja, vielleicht riechen wir irgendwann wieder einmal versonnen an einem Maiglöckchen, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    nannte man uns Daniela und Margit, weil wir damals so hießen, vor unserer Geschlechtsumwandlung, vor unserer zweiten wohlgemerkt. Ursprünglich hießen wir ja Christian und Dieter. Da wir aber nie zeitgleich operiert wurden, sondern einer immer eine Woche später als der andere, nannte man uns auch kurze Zeit Daniela und Dieter und Dirk und Margit oder so, man verliert da gern den Überblick. Wir arbeiteten damals in einem Heim für schwer erziehbare Senioren, die meisten hatten keine Eltern mehr, waren schon jahrelang nicht mehr in der Schule gewesen.
    Das Problem war, dass es für die Senioren keine Freizeitangebote gab, kaum Seniorenzentren, so war es kein Wunder, dass sie Alkohol tranken und Zigaretten rauchten. Auch körperlich waren sie in schlechtem Zustand, Falten, schlechte Zähne, schlechte Haltung. Außerdem hatte keiner der Senioren einen Job. Bevor sie zu uns ins Heim kamen, lungerten sie grüppchenweise im Park herum, mit Stöcken bewaffnet und uniformiert: grauer Anzug, Hornbrille. Sie kennen diese unheimlichen Pensionistenbrillen, mit denen sie uns Jugendliche in Angst und Schrecken versetzen, diese Brillen, hinter denen die Augen so riesengroß werden. Einer, nämlich Elmar, nahm einmal seine Brille ab und seine Augen waren ohne Brille noch größer. Elmar hatte auch eine angsteinflößende Art zu reden: »Hallo, ich bin Elmar!« Uuaah, da schauderte uns. Wir spritzten ihn nieder, wenn er mit dieser röchelnden Stimme sprach. Das schien ihn zu langweilen, denn er schlief sofort ein. Manche unserer Senioren sahen richtig gefährlich aus, mit Glatze und so. Grundsätzlich bestand unsere Aufgabe im Heim für schwer erziehbare Senioren darin, alles niederzuspritzen, was sich bewegt, aber die meisten bewegten sich eh kaum mehr. Und schwerhörig waren die! Wir mussten sie ständig anbrüllen. Was uns traurig machte war, mitansehen zu müssen, wie perspektivenlos sie waren, sie waren die »No future«-Generation. Aber – na bravo! – medikamentensüchtig. Irgendwann hielten wir diese destruktive Art nicht mehr aus, wir ließen uns geschlechtsumwandeln und stolperten in ein neues Abenteuer. Vielleicht betreuen wir wieder einmal schwer erziehbare Senioren, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und

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