Speichelfaeden in der Buttermilch
nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
beschäftigten wir uns monatelang mit der traurigen Tatsache, dass zwar gleichzeitig zwei Nieren versagen können, aber man nie und nimmer an mehr als einem Schnupfen gleichzeitig leiden kann. Wir experimentierten viel damals. Wir stellten uns tagelang in einen befreundeten Kühlraum, kamen raus und hatten was? Richtig. Lediglich einen lumpigen Schnupfen. Wir waren wütend auf die Schöpfung, das Wunder des Lebens nannten wir fortan nur mehr die Wunde des Lebens, da hatte Gott sich ja wohl mächtig verkalkuliert. Aber eine gute Sache hatte die Seite doch, denn in dem Kühlraum lebte ein junges schuldiges Kind, das rührende Treatments für Gewaltpornos verfasste. Es lebte dort schon seit mehr als 80 Jahren, durch die Kälte war es jung und straff geblieben. Es war ein Bub, der ein aufregendes Leben hatte. Sein Vater hatte ihn vor 80 Jahren in den leeren Kühlraum gesteckt. Punkt. Das war sein Leben. Wir waren sofort von diesem Kind so fasziniert, dass wir den Kühlraum verließen und nie mehr an dieses öde Kind dachten, bis es an unserer Tür klopfte, zwölf Jahre später, und bei uns einzog. Durch dieses Kind begannen wir, wieder an Gott zu glauben und die Schöpfung in mehrstündigen ausgelassenen Gospelsongs zu preisen. Denn dieses Kind litt unter sage und schreibe zwölf Lungenentzündungen gleichzeitig und hatte Gelbsüchte zum Saufüttern, mindestens 36, aber, und das freute uns am meisten, der kleine Bub hatte vier Schnupfen zur gleichen Zeit. Das Kind starb dann 1973 an der Ruhr. 1974 an der Seine und 1975 an der Donau. Es vermachte uns ein bezauberndes Drehbuch für einen Gewaltporno, mit dem wir nicht nur den Einstieg ins Mediengeschäft schafften, sondern zweimal den Adolf-Grimme-Preis gewannen. Na ja, vielleicht machen wir uns wieder irgendwann einmal Gedanken über die Schöpfung, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.
Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
arbeiteten wir in der Buchhandlung »Belinda«, die auch gleichzeitig eine Herrenboutique und ein Schlachthaus war. Herrenhosen, Bücher und tote Tiere – welch ein Leben. Unser Tag begann mit dem Schlachten von Tieren: Kühe, Hirsche, Garnelen, Maikäfer und Muscheln. Nur mit den zahlreichen Mundbakterien hatten wir Mitleid, als sie auf die Schlachtbank geführt wurden. Wir schlachteten sie aber trotzdem gern. Einmal sollten wir eine Hornisse schlachten. Unser Chef Belinda zog die Hornisse an den Haaren in den Schlachthof rein, wo wir schon mit blutigen Händen und blutunterlaufenen Augen warteten. Die Hornisse zog sich aus und schien sich in ihr Schicksal zu fügen. Sie setzte sich brav vor uns auf einen kleinen Schemel und wartete auf unser Hackebeil. In dem Moment hörten wir die Türglocke und hielten inne. Ein Herr hatte das »Belinda« betreten und erkundigte sich nach einer Herrenhandtasche und einem Buch von Dario Fo. Befremdet blickte der Herr auf die vor Angst mit den Knien schlotternde nackte Hornisse und auf unsere blutunterlaufenen Ohren, Wangen und Hände, in denen die beiden Hackebeile ruhten. Plötzlich wurde uns klar, dass wir mit unserem Beruf unzufrieden waren. Wir hatten einfach keine Lust mehr, Herrenhandtaschen und Bücher zu verkaufen, wir wollten schlachten, schlachten, schlachten. Mit unseren blutunterlaufenen Mündern brüllten wir den Herrn an und fletschten unsere blutunterlaufenen Zähne. Er wurde ohnmächtig und wir zogen ihn an den Haaren neben die schweißgebadete Hornisse. Unsere blutunterlaufenen Schuhe hinterließen hufeisenförmige Abdrücke. Kopfschüttelnd trat unser Chef Belinda auf uns zu und dann ein und hielt die Entlassungspapiere unter unsere blutunterlaufenen Nasen. Wir hatten den Bogen überspannt. Das Schlachten von Kunden war untersagt. Wir und die Hornisse flogen raus. Sie rannte davon und arbeitet heute in der metallverarbeitenden Industrie. Wir wurden arbeitslos, es war herrlich, endlich waren wir unsere Arbeit los. Fortan lebten wir im Wald, sehr ursprünglich. Mit Schwarzweißfernseher und Trimm-Dich-Geräten, mit denen wir die Gegend unsicher machten. Wir ernährten uns von den Abfällen der Tiere. Weggeworfene Wurstsemmeln, Eierschalen, Taschentücher, Chips und Coladosen. Eine ausgewogene Ernährung, die uns guttat. Unsere Bäuche und Achseln waren nicht mehr blutunterlaufen, im Wald wurden wir wieder zu Menschen. Jetzt wollten wir von den Tieren noch
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