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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Schreiben und Lesen lernen und dann einen Neuanfang in der Stadt wagen. Bei einem Maulesel nahmen wir Deutschunterricht, im Gegenzug durften er und seine Familie jeden Dienstag bei uns fernsehen. Die Dienstagabende waren immer wunderschön, der Maulesel brachte immer etwas zu trinken und seine Tochter mit. Am liebsten schauten der Maulesel und seine Tochter »Dalli Dalli«, wegen der Bienenwaben-Dekoration, die uns alle an das fröhliche Leben und Treiben im Wald und auf der Wiese erinnerte. Alles, was wir heute sind, verdanken wir dem Maulesel und seiner Tochter, und vielleicht kehren wir irgendwann wieder in den Wald zurück, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    da versuchten wir das Wort »Wüstenschiff« als Synonym für »Kamel« zu etablieren. Immer wenn in Büchern oder Zeitungsartikeln von »Kamelen« geschrieben wurde, sandten wir Protestbriefe an die Verlage mit der Forderung, »Kamel« bitteschön durch »Wüstenschiff« zu ersetzen. Uns wurde aber kein Gehör geschenkt, und so lebten wir taub in den Tag hinein und verdingten uns als Callboys für asthmakranke Aristokratinnen. »Ab und zu ne von und zu, wenn sie zahlt, die blöde Kuh!«, mit diesem Spruch warben wir auf unseren Visitenkarten. Die Damen waren sehr kurzatmig, darum bewunderten sie uns, sie bewunderten unseren langen – Atem.
    Auf diese Weise lernten wir viele Adelsgeschlechter kennen, primäre und sekundäre, da gibt es ja unglaubliche Hierarchien! Zum Beispiel, wenn es Sie interessiert, ist ein König viel mehr wert als ein Pferd! Wir staunten selbst nicht schlecht, was wir für Spezialisten geworden waren, nachdem wir uns durch den ganzen europäischen Hofadel gebumst hatten. Unsere katastrophalen Umgangsformen verboten es aber leider, dass wir nach vollzogenem Akt noch Kontakt zur Welt des Adels hielten. Wir mussten sofort nach unserer Liebesarbeit in den Schweinestall zurück, während unsere asthmakranken Kundinnen feudale Feste feierten, sie waren ja anscheinend etwas Besseres als wir, ja, ja, ja! Im Schweinestall ging es gemütlich zu. Gemeinsam mit den anderen Arbeitern und Bauern, die sexuell ausgebeutet wurden, träumten wir von einem eigenen Staat. Wir planten die sexuelle Revolution; wir träumten von einem Orgasmus mit menschlichem Antlitz! Und dann tatsächlich: im Frühjahr kam es zum Putsch. Wir putschten das ganze Schloss. Frühjahrsputsch, bis alles blitzeblank war. Wahrscheinlich würden wir heute noch bei den Gräfinnen arbeiten, hätten wir uns nicht beim ungeschützten GV angesteckt. Ja, wir hatten jetzt auch Asthma und wurden sofort rausgeschmissen. Eine Zeit lang hielten wir uns als bezahlte Groupies der Bands »The Kings« und »The Lords« ganz gut über Wasser, auch ganz kurz bei »Queen«, bis wir Freddy Mercury mit Asthma ansteckten. Wir verdammten Wüstenschiffe, hätten wir doch verhütet, dann hätten wir Schlimmeres verhüten können! Ja, vielleicht arbeiten wir wieder irgendwann mal als Callboys für asthmakranke Adelige, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    da spielten wir oft Karten. (Nicht wirklich, wir spielten es nur). Wir arbeiteten damals als Vorstandsvorsitzende. Unsere Aufgabe bestand darin, vor den Sitzungen auf den Sesseln zu sitzen, um sie für die Chefs zu wärmen. Geld war damals kein Problem, wir hatten ja gar keines. So wie andere Leute Aufmerksamkeit erregen, erregte uns die Aufmerksamkeit anderer Leute. Am erregendsten war es für uns, wenn sich zwei Jäger aufmerksam miteinander unterhielten. Das war das, was wir unseren persönlichen »Hochstand« nannten. Wir mochten alles an Jägern, alles! Die weißen Uniformen, den Mundschutz, die Apparaturen und ihre süßen Schwestern. Als man uns einmal mit dem Flugzeug überfahren hat, wurden wir zur Beobachtung ins Spital eingeliefert. Aber ehrlich, viel gab's da nicht zu beobachten. Am tollsten waren noch die Oberjäger, die wir bei der Visite beobachteten. Nach zwei Wochen wurden wir aus dem Spital entlassen; scheinbar waren wir nicht gut genug. Unser Selbstbewusstsein war im Keller. Und wir selbst fanden uns auf dem Dach wieder, um runterzuspringen. Genau an der Stelle hatten wir eine Idee: wir wollten bis drei zählen, und wenn sich bis dahin nichts Wesentliches verbessert hätte, wollten wir

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