Spektrum
duschen!«
Martin verschwand im Bad.
Allerdings schlängelte sich Irina ein paar Minuten später zu ihm in die Duschkabine.
Das Mädchen erwachte erst gegen Abend, als Irina und Martin bereits wieder wie seriöse Erforscher fremder Welten aussahen, nicht wie leidenschaftliche Liebhaber.
Ab und an kicherten sie vielleicht noch, lächelten sich verschwörerisch zu und sahen einander an. Martin hatte ein solches Verhalten, das verliebte Pärchen mitunter an den Tag legten, nie gemocht, diese in Blicken und Zwinkern verborgene Falschheit, mit der statt echter Gefühle eine Beziehung zur Schau gestellt wurde. Jetzt hingegen genoss er es, mit Irina verschmitzte Blicke zu wechseln und Grimassen zu schneiden, ohne sich dabei im Geringsten verlegen zu fühlen.
»Ich habe ausgeschlafen«, teilte das Mädchen mit, als es ins Zimmer kam. »Ist mit euch alles in Ordnung?«
Martin und Irina lächelten sich an.
»Es ist schön, wenn im Schwarm alles stimmt«, meinte das Mädchen.
»Ich glaube, sie hat nicht die ganze Zeit geschlafen«, vermutete Martin. Dann gestikulierte er für das Mädchen: »Es ist alles bestens. Wir haben über euer Volk gesprochen. Erzählst du uns, wie ihr den Verstand aufgebt?«
»Ja.«
»Im Großen und Ganzen ist es mir schon bekannt«, mischte sich Irina ein. »Ich kann mir sogar vorstellen, was die Schließer von dir wollen.«
»Wirklich?«, wunderte sich Martin. Er hatte Irina bereits von seinen Abenteuern berichtet, hatte es aber nicht mehr geschafft, auch ihre Erzählung zu hören. »Und was?«
»Ein lokales Armageddon.«
»Etwas in der Art habe ich befürchtet«, erwiderte Martin. »Darunter tun sie es nicht.«
»Ich vermute, es wird keine Opfer geben …«
»Dann wird es sie ganz bestimmt geben. Zumindest eins«, platzte Martin heraus. Sogleich biss er sich auf die Zunge.
Irina nickte. »Wenn du dich zuerst nach Talisman begeben hättest …«, meinte sie schwermütig.
»Hätte das etwas geändert?« Martin verkrampfte sich.
»Ich glaube, von uns sieben überlebt nur eine«, informierte Irina ihn schlicht. »Die Letzte, zu der du kommst. Ich habe auf dich gewartet … und wollte trotzdem, dass du erst später kommst. Nachdem du auf Talisman warst.«
»Irinka …«
»Hör auf.« Die Frau lächelte. »Du verstehst das selbst ganz genau, Martin. Mein Verhalten hat etwas aus den Fugen gebracht. Irgendwelche Gesetze verletzt … die höchstwahrscheinlich nicht von den Schließern stammen. Irgendwelche Naturkonstanten, die mit dem Verstand zusammenhängen. So ist es doch, oder? Das hat auch mein Vater begriffen. Und dein Führungsoffizier vom FSB.«
»Ich kann zur Station gehen und nach Talisman aufbrechen«, murmelte Martin.
»Um damit mein anderes Ich zu ermorden?«, hakte Irina nach. »Das ist nicht nötig, Martin. Lass uns lieber die Apokalypse auf einem einzelnen Planeten erproben.«
Fünf
Der Aufstieg zur Spitze des Hügels zog sich endlos hin. Fahrstühle oder mobile Wege gab es ebenso wenig wie Fuhrwerke, mochten diese auch noch so langsam sein.
Martin, Irina und das schealische Mädchen trabten den spiralig gewundenen Weg hinauf. Kaum einmal überholten sie Erwachsene oder Vogelkinder, bisweilen kam ihnen von oben jemand entgegen, jedoch ausnahmslos Erwachsene.
Martin gefiel das nicht.
»Die Religion der Schealier ist im Grunde gar keine Religion«, erklärte Irina. »Es handelt sich vielmehr um eine philosophische Lehre über die Nichtigkeit des Lebens. Die Forscher haben sich durch äußere Attribute in die Irre führen lassen, den Kult des Ur-Eis, das Dogma vom Flugverlust, das Ritual von Kralle und Feder … Sicher, all das entspricht unseren gängigen Vorstellungen von den Schealiern. Flugunfähige Vögel … in welcher Form müsste sich da ihr religiöses Gefühl ausdrücken? Ei, Flügel, Federn … Nein, am Boden all dessen hat sich etwas abgelagert. Die Relikte der wahren schealischen Religion, die, wenn ich mich nicht irre, dem Schamanismus ähnelte. Aber eigentlich ist der Kult der Schealier nicht mehr als ein künstlich geschaffenes System, um die Psyche zu beeinflussen!«
»Und um den Verstand zu töten?«, hakte Martin nach. Der Spiralweg zur Hügelspitze war recht breit, bestimmt fünf Meter. Zur Linken ragte die Mauer des Tempels auf, errichtet aus dunkelgrauen, behauenen Steinquadern. In Schulter– und Taillenhöhe hatten die Berührungen zahlreicher Hände den Stein poliert, sodass sich nun zwei glatte Streifen von der Grundfläche des Kegels
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