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Spekulation in Bonn

Titel: Spekulation in Bonn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg R. Kristan
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Anzug.
    »Der ist ja wohl mausetot«, stellte der Vorarbeiter sehr bestimmt fest. »Den rühren wir nicht an, darum soll sich die Polizei kümmern. – Los, mach den Stamm von der Kette.«
    Uwe war froh, eine sinnvolle Tätigkeit für seine zitternden Hände zu finden, und löste mit hastigen Bewegungen den Stamm vom Fahrzeug.
    Der Vorarbeiter sprang wieder auf seinen Fahrersitz und legte den Gang ein. »Jüngling, du bleibst hier und paßt auf! Ich fahre vor zur Telefonzelle am Reha-Zentrum Ecke Waldstraße und rufe die Polizei an.« Damit trat Lehmacher auf den Gashebel und knatterte die Straße hinunter. Uwes entsetzter Ausruf: »Mann, Sie können mich doch nicht mit dem da allein lassen« ging im Motorgeräusch unter. – Dann setzte sich der Junge auf den Stamm, stützte die Ellbogen auf die Knie und hielt mit beiden Händen seinen Kopf. Zunächst richtete sich der Blick auf die Straßendecke; doch wie von einem Magnet gezogen, hoben sich seine Augen und starrten fasziniert auf den Toten im Baum, der, ganz sacht von der Morgenbrise bewegt, hin und her pendelte.
    Nur drei der zwölf Funktische in der Einsatzleitstelle des Polizeipräsidiums waren besetzt. Im Gehirn von CEBI, der computerunterstützten Einsatzleitung, Bearbeitung und Information, hatten sich die Elektronen noch nicht den Schlaf aus den Augen gerieben. Der diensttuende Kommissar und ein Beamter am Funktisch freuten sich, daß ihnen ein Wasserrohrbruch an der Kölnstraße Gelegenheit bot, streng nach der auf dem Bildschirm abgerufenen Checkliste einige städtische Bedienstete hochzuscheuchen und an die Arbeit zu bringen. Um die beiden erfaßten Verkehrsunfälle auf der Kennedybrücke und am Verteilerkreis kümmerten sich Beamte der Schutzbereiche V und IV.
    Die telefonische Meldung über 1-1-0, daß sich im Stadtwald von Bad Godesberg ein Mann erhängt habe – ›uffjehangen‹, wie der Anrufer sagte –, riß keinen der Diensttuenden vom Stuhl. Der mehrfache Hinweis des Anrufers, daß der Mann am Baum tot sei, änderte nichts an den routinemäßig zu beachtenden Vorgaben. Notarzt, Krankenwagen, Streifenwagen wurden in Marsch gesetzt. Der Leichenbestatter erhielt eine Vorausmeldung mit der Maßgabe, auf Abruf zu warten.
    Der Uniformierte vom Funktisch gab vorsichtshalber die Information an den Kriminalkommissar vom Dienst weiter, der ein paar Etagen tiefer dabei war, seine Tasche zu packen, weil die Nachtschicht dem Ende entgegenging. Ohne großes Interesse fragte er: »Wer kümmert sich drum?«
    Der Beamte am Funktisch antwortete: »UNI 12/14 ist unterwegs. Die Kollegen hatten an der Godesburg einen verlassenen Diplomatenwagen zu sichern. Der hat Plattfuß, und der Fahrer wollte sich wohl nicht die Hände schmutzig machen.«
    »Gut, und wer ist noch draußen?«
    »UNI 12/16 behütet die Amerikaner in Plittersdorf.«
    »Könnt ihr den abziehen?«
    »Moment!« Der Mann am Funktisch sprach mit dem »Leitenden« und sagte dann: »Klar, in little America herrscht Friede.«
    »Das trifft sich gut. Die sollen unseren Hauptmeister Müller aus den Federn scheuchen und gleich mitnehmen. Der wohnt ganz in der Nähe. Die Kripo muß sich ohnehin um die Leiche im Wald kümmern. Lupus kann gleich den richtigen Eindruck gewinnen, wenn etwas faul sein sollte. Müllers Adresse habt ihr in der Elektronik, Vorname Wolfgang.«
    »Geht klar.«
     
     
    Dieser Tag war restlos versaut. Das stand für Kriminalhauptmeister Wolfgang Müller, genannt »Lupus«, fest. Vom Frühstück weg, aus der warmen Nähe seiner Frau, an einem kühlen Sommermorgen zu einer am Strick baumelnden Leiche gerufen zu werden ließ Übelkeit in ihm hochsteigen.
    »Wer hat denn die glorreiche Idee gehabt, ausgerechnet mich loszuschicken?« fragte er die Besatzung des Streifenwagens. »Mein hoher Chef und Kegelbruder etwa? Der Freiberg weiß doch, daß mir Leichen nicht liegen – zum Frühstück schon gar nicht.«
    »Kommissar vom Dienst, vermute ich«, antwortete der Streifenführer.
    »Diese Arschgeige«, kommentierte Lupus laut und deutlich.
    An der Auffahrt zum Parkplatz Katharinenhof ließ er anhalten. »Ich will mich hier kurz umsehen, bevor es lebhafter wird.« Das war ein guter – dienstlicher – Anlaß, die Begegnung mit dem Tod noch ein wenig hinauszuschieben. Der dicht umwachsene Parkplatz schien zu dieser frühen Stunde noch nicht genutzt zu werden, kein Auto, kein Motorrad, auch kein in den Büschen abgestelltes Fahrrad eines Gesundheitsfanatikers.
    Kriminalhauptmeister »Lupus«

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