Spekulation in Bonn
Gesellschaft für Datensicherheit hat im Grunde zwei Aufgabenbereiche. Einmal betreibt sie Forschung auf dem Gebiet der Informationstechnologie, vereinfacht gesagt: Computerentwicklung; zum anderen ist sie ein regelrechter Dienstleistungsbetrieb für Handel und Industrie – und nicht zuletzt für die meisten Bundesministerien. In diesem Dienstleistungsbetrieb – der übrigens von den Benutzern teuer bezahlt werden muß – läuft vieles von dem zusammen, was die Bundesrepublik bewegt, z. B. die Milliardenzahlen aus den einzelnen Haushalten der Ministerien, Basisdaten für Berichte und Programme, Hochrechnungen und Schätzungen für künftige Entwicklungen in den verschiedenen Planungsbereichen. Wer uns anzapft, ist schlauer als jeder andere.«
Freiberg hatte mit steigender Aufmerksamkeit zugehört. »Wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es zumindest noch einen großen Bereich, der nicht in den Computern der GeDaSi erfaßt ist, und in diesem Bereich, seinem Stammunternehmen, ist – war – Doktor Korbel tätig.«
Der Verwaltungsdirektor nickte.
Kommissär Freiberg sagte nur ein Wort: »Bundeswehr.«
»Ja, die marschiert getrennt«, erläuterte Dr. Seukler. »Aber wir arbeiten mit denen auf der wissenschaftlich-technischen Seite eng zusammen. Die sitzen ja nicht weit von hier in Mehlem.«
»War Korbel Soldat?« fragte Lupus.
»Nein, qualifizierter Wissenschaftler, Systemanalytiker von hohen Graden.«
»Also eine Art Elektronik-Abwehr-Spezialist«, versuchte Freiberg zu definieren.
Der Verwaltungsdirektor stimmte zu: »Noch eine Wortschöpfung mehr in unserem Kauderwelsch, aber das trifft es ziemlich genau. Unser Mann muß immer ein paar Gedankenschritte schneller sein als die Topleute der Gegenseite. Vor allem muß er die Schwachpunkte der Systeme erkennen, durch die man in sie eindringen könnte. Auch die Spitzentechnologie hat ihre Schwächen. Theoretisch ist es denkbar, daß jemand in Tokio sitzt und über Satelliten und Fernmeldekabel mit den richtigen Paß- und Codeworten hier einen Computer anzapft und sich das elektronisch gespeicherte Wissen in Minuten in sein eigenes System überspielen läßt. Das klingt alles sehr theoretisch, aber was theoretisch denkbar ist, das ist irgendwann auch technisch machbar.«
»Los Alamos«, sagte Freiberg. »Die Atombombe war denkbar, SDI ist denkbar, die Verlängerung der Geschichte der Menschheit in den Weltuntergang ist ebenso denkbar.«
»Sie versuchen, hinter die Dinge zu schauen«, wunderte sich Dr. Seukler.
»Kommissar Freiberg hat Geschichte studiert«, erklärte Lupus und war ein wenig stolz darauf, daß sein Chef in diesem Gespräch mithalten konnte.
»Und dann sind Sie bei der Polizei?« fragte der Verwaltungsdirektor überrascht.
»Ja, inzwischen sogar gern. Ich habe meinen Träumen entsagt. Ein arbeitsloser Lehramtskandidat mehr. Das wäre die Alternative. – Doch lassen Sie uns nochmals auf den Abwehrspezialisten zurückkommen. Wenn nun nicht nur der Computer, sondern auch der Wächter angezapft würde…?« Freiberg ließ den Satz unvollendet im Raum stehen.
Lupus blickte starr geradeaus. Doktor Seukler sagte lange Zeit nichts; dann zog er sein Taschentuch hervor und betupfte seine Stirn. »…nur weil es denkbar ist: Das wäre für uns und das Stammhaus von Korbel der GAU.«
»Der größte anzunehmende Unfall – wie in Tschernobyl, nur ohne Kernverschmelzung«, bemerkte Freiberg, »und die NATO wüßte nicht einmal, daß sie in den Ostblock integriert ist.«
»Die absolute Katastrophe«, bestätigte Dr. Seukler. »Dann wäre unser Wissen auch ›ihr‹ Wissen, unsere Waffensystem- und Verteidigungsplanung ›ihre‹ Angriffsgrundlage, unsere Rüstungsstandorte wären ›ihre‹ Zielvorgabe. Die andere Seite hätte alles, was sie an Informationen braucht, um den vorgeschobenen NATO-Stützpunkt Deutschland mit einem einzigen Schlag auszuschalten. Mein Gott, welch eine Perspektive!«
Freiberg versuchte, das Gespräch in den polizeilichen Ermittlungsalltag zurückzuholen. »Noch ein Wort zu Korbels Tätigkeit in der GeDaSi. Wie lange war er schon hier, wie lange sollte er noch bleiben, und wo war er eingesetzt?«
»Zwei Monate sollte er hier sein. In den ersten vierzehn Tagen hat er sich einen Überblick verschafft, seit drei Wochen ist er im Institut für System-Technologie, um sich mit den dort bearbeiteten Problemfeldern vertraut zu machen.«
»Warum gerade dort?«
»In diesem Institut arbeiten die klügsten Köpfe und die modernsten
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