Spekulation in Bonn
lebhaft, »was muß ich hören: Korbel ist tot? Schade, ein kluger Kopf, wenn auch ziemlich bissig.«
Freiberg und Lupus wollten sich bekannt machen, doch Nikols hörte nicht zu. »Kommen Sie in mein Büro, hier ist es zu hektisch.«
In der Tat glich der Gang einem Bienenkorb. Junge Mitarbeiter mit Stapeln von maschinell gefaltetem Papier und Karteiblättern in allen Farben liefen hin und her. In den klimatisierten Räumen brummten und ratterten die Geräte. Nikols’ Büro entsprach ganz den Erwartungen: Chaos allerorten. Auf dem Schreibtisch eine Unmenge aufgeschlagener Bücher, Tabellen und Schaltpläne und auf dem Konferenztisch eine halbentrollte Weltkarte.
»Setzen wir uns«, sagte der Arbeitsgruppenleiter, machte zwei Stühle frei und schob die Karte beiseite. »Mit dieser Satelliten-Kommunikation ist es ein Kreuz – noch zu viele Fehlerfolgen. Aber das werden wir schon in den Griff bekommen. Mit den Standleitungen von uns zu den Ministerien sieht es manchmal auch nicht besser aus – und das sind nur ein paar Kilometer Distanz. – Also, aufgehängt hat er sich. Aus wissenschaftlicher Sicht bestand dazu für ihn absolut keine Veranlassung.«
»Und sonst? Privat vielleicht? Kannten Sie sich näher?«
Nikols Augen flitzten hin und her. Er knöpfte seine Jacke auf und zu, dann wieder auf, wieder zu, unentwegt. »Was heißt näher? Früher waren wir auch privat zusammen. Aber dann gab es Differenzen. Korbel war kein Mann, den man auf Dauer zum Freund haben konnte… Wissenschaftlich haben wir uns seit Jahren in der Literatur beharkt. Dieser Mann hatte einen Sicherheitstick. Was der von unserem System forderte, hätte es unbezahlbar gemacht. Wir brauchen die offene, billige Kommunikation. Ein Datensichtgerät in Toronto, Chip rein, Paßwort dazu, elektronischer Gegencheck – und die Informationen fließen. Diese Bunkermentalität mancher Zeitgenossen ist der Todfeind des technischen Fortschritts.«
»Was genau wollte Korbel hier im Institut erfahren?«
»Umstellungsrisiken abchecken. Mother Blue will das einundachtzighunderter Blech einfrieren.«
Freiberg und Lupus schauten verständnislos auf.
»Verzeihung, unser Jargon ist fürchterlich. Also im Klartext: IBM will das Computersystem 8100 nicht weiterentwickeln. Das bringt für die Anwender in jedem Fall Probleme. Sie müssen klären, ob und wie lange sie mit dem Rechner weitermachen wollen oder ob sie auf andere Anlagen umsteigen müssen. Für die militärische Logistik ein besonders harter Brocken – aber in jedem Fall machbar.«
»Sie wissen also, daß Korbel für die Hardthöhe gearbeitet hat?«
»Aber sicher doch. Bei den Militärs läuft ohne die Datenverarbeitung nichts. Nehmen Sie denen die Computer weg und den Engländern den Tee, dann ist der nächste Krieg ohne Schußwechsel entschieden.« Nikols sprach schnell und knöpfte die Jacke abermals auf und zu.
»Hatte Doktor Korbel Feinde?«
»Jede Menge! Wie gesagt, das war kein Mann, der sich Freunde schaffte. Und wenn er welche hatte, war er hinter deren Frauen her. – Fachlich hat er sich mit allen Wissenschaftlern angelegt. Der…«
Freiberg versuchte, den Redefluß zu bremsen. »Pardon, wir verstehen uns nicht ganz. Ich meine solche Feinde, die ihm nach dem Leben getrachtet haben könnten.«
»Ich weiß nicht, ob er solche ›Killerfeinde‹ gehabt hat. Aber zum Teufel gewünscht haben ihn viele Kollegen.«
»War Korbel verheiratet?«
»Nein. Der wilderte lieber in fremden Revieren und hatte im übrigen nur sein Blech im Kopf…«
Das Telefon surrte. Nikols fluchte über die Störung und nahm widerwillig den Hörer ab. »Ach so – für Sie, Herr Kommissar. Fräulein Kuhnert aus Ihrem Büro.«
»Habt ihr den Befund?« fragte Freiberg sofort.
Lupus bemerkte, wie sich der Gesichtsausdruck seines Chefs änderte. »Also noch kein Befund. Probleme in der Beethovenstraße. Ja, ja, ist schon richtig, daß Sie angerufen haben. Ich werde mich drum kümmern.«
»Neuer Einsatz?« wollte Nikols wissen. »Ich bin mit meinen Erklärungen ohnehin am Ende. – Schon schade um den Kollegen Korbel.« Der Arbeitsgruppenleiter knöpfte seine Jacke zu und beließ es dabei. »Danke für Ihren Besuch, meine Herren. Bei der Beerdigung werde ich wohl ein paar Worte am Grabe sprechen müssen. De mortuis nihil nisi bene.«
Vor der Tür sagte Lupus: »Was für eine Type – über den Toten nur das Beste. Chef, ich bin froh, aus diesem Narrenkäfig herauszusein. – Wenn ich das Telefongespräch richtig
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