Spekulation in Bonn
Anlagen. Es geht dabei um die Probleme bei der Erfassung von Informationen, Speicherung, Transport, Aktivierung. Erforscht werden insbesondere die Bereiche Rechnerarchitektur, Kommunikationssysteme, Datenbanken und die dazugehörigen Sektoren. Die Datensicherung steht ganz oben an. Es ist unser größtes Institut mit fast hundert Wissenschaftlern.«
»Und hier sitzen zwei absolute Laien«, stöhnte Freiberg.
»Aus diesen Bereichen mußte Korbel sein Know-how als – wie Sie so schon gesagt haben – Elektronik-Abwehr-Spezialist gewinnen. Ihm ging es um die perfekte Kenntnis der modernsten Rechnerarchitekturen und der Kommunikationssysteme. Wieder einmal schrecklich vereinfacht gesagt: um den Aufbau und das Zusammenwirken der Computer und um die Übertragung der Daten.«
»Nach Tokio«, warf Lupus mit einem grimmigen Lachen ein. »Wer soll denn das noch kapieren?«
»Ich kann’s ja auch nicht richtig«, tröstete der Verwaltungsdirektor. »Aber unsere Wissenschaftler glauben, sie könnten es. Und das ist die Hauptsache.«
Freiberg lachte: »Weil es denkbar ist. – Und welche Kenntnisse muß ein Mann wie Korbel mitbringen, um von dieser hochkarätigen Elite geschult werden zu dürfen?«
»Theoretisch ist alles gefragt, was aus der Berufsbezeichnung unserer Mitarbeiter draußen an der Namenstafel hervorgeht. Der Herrgott hat einen großen Tiergarten mit viel künstlicher Intelligenz. Korbel kommt aus der mathematischen Richtung. Der dürfte ein Gehirn haben wie ein zuverlässiger Großrechner. Ich habe einige Male das Vergnügen gehabt, ihn und seine Kollegen beim Mittagessen diskutieren zu hören. Es war die reinste Horrorschau! Man hatte das Gefühl, unter Glühwürmchen geraten zu sein, die ihre Leuchtorgane ganz nach Belieben ein- oder ausschalten – akademische Irrlichter. Wenn es allerdings zwischen dem Leiter der Arbeitsgruppe, unserem Diplommathematiker Nikols, und Korbel zum Disput kam, hatte man das Gefühl, daß zwei Feinde die Klinge kreuzen. Sie können mir glauben, da sind die Fetzen geflogen – verbal natürlich. Ich habe nichts davon verstanden.«
»Ein Jurist ist zu allem fähig«, wiederholte Freiberg die kurz zuvor gefallenen Worte.
»Richtig«, bestätigte der Verwaltungsdirektor. »Auch zu der Einsicht, daß sich nicht alles im Leben berechnen läßt. Der Herr Diplommathematiker Nikols hat für diese Einsicht teuer bezahlen müssen.«
»Wie ist das zu verstehen?«
»Liebe, Glücksspiel und Mathematik! Er hat es nicht geschafft, alles unter einen Hut zu bringen. Für seine Frau, die das Glück mehr im Spiel als in der Liebe sucht, hat er ein Gewinnsystem errechnet, um sie an sich zu binden. Wahrscheinlich war die Null nicht kalkulierbar und das Schicksal nicht manipulierbar. So sah der Erfolg anders aus als gedacht: alles verspielt, das Haus verkauft und seine Frau verloren.«
»Heißt das, sie hat ihn verlassen?«
»Ja und nein. Sie leben getrennt und können sich doch nicht ganz voneinander lösen. Dieses lauwarme Verhältnis scheint ihn ziemlich zu belasten. Sie arbeitet schon seit Jahren in einer Firma für Investitionsberatung und Koordination. – Er ist übrigens ein mathematisches Genie und für uns unentbehrlich.«
»Und dieses Genie ist mit Korbel öfter aneinandergeraten?«
»Wissenschaftlicher Streit gehört zum Alltag in einem Forschungsinstitut. Aber keine Angst, die Damen und Herren bringen sich nicht physisch um, die versuchen dafür, sich gegenseitig in den Fachbeiträgen fertigzumachen. – Wissenschaftlich tot ist so gut wie lebendig begraben.«
Freiberg hätte diese angeregte Unterhaltung noch weiterführen können, doch die Anwesenheit seines schweigsamen Kollegen ließ ihn an seine polizeilichen Aufgaben denken. »Wir müssen uns der Vollständigkeit halber auch mit Herrn Nikols unterhalten.«
»Ja, das könnte Ihnen mehr bringen. Korbel und Nikols kannten sich auch wohl privat. – Ich werde Sie telefonisch avisieren. Das Institut für System-Technologie schließt durch den überdachten Laufgang gleich an das Verwaltungsgebäude an.«
Der Abschied war noch herzlicher als die Begrüßung.
Arbeitsgruppenleiter Nikols kam den beiden Beamten auf dem Gang entgegen. Er war ungewöhnlich groß und ungewöhnlich dünn. Ein hageres Gesicht wurde von schütterem braunem Haar umrahmt, und um seine Figur schlotterten Jacke und Hose in einer Zusammenstellung, die nicht einmal auf dem Bonner Flohmarkt abzusetzen gewesen wäre.
»Hallo, meine Herren«, grüßte er
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