Spekulation in Bonn
»Schnellster Herr Mauser, die Zeit ist um. Wir müssen arbeiten – und Sie auch.«
»Ich werde schreiben: Ermittlungen laufen – es wird fieberhaft gefahndet.«
»Stimmt immer«, bestätigte Freiberg. »Bis später dann.«
»Das ist ein Bursche«, stellte Lupus anerkennend fest, als Mauser gegangen war.
»Und wofür darf ich dich loben?« fragte Freiberg.
»Ich habe inzwischen viel über eine ehrbare Zunft gelernt. Ich weiß jetzt endlich, daß schwere und mindestens zweihundert Meter lange Seile auf der Reeperbahn, also einer Seilerbahn, ausgetrieben werden.«
»Ich kenne diese Einrichtung nur als sündige Meile.«
Lupus sang: »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du ein Seilchen hast oder hast keins, ei, da kriegt man dich, ei, da hängt man dich – auf der Reeperbahn nachts um halb eins.« Dann erklärte er weiter: »Die Techniker haben mir was von Litzen, Kardeelen und vom Trossenschlag erzählt. Aber woher das Abschleppseil stammen könnte, wußte unsere Seilschaft auch nicht.«
»Das muß doch festzustellen sein.«
»Das sei unser Job, nicht ihrer, meinten die. Vielleicht käme so was noch aus dem Balkan oder von Rußland oder Italien; dort wird Hanf angebaut. Man müßte sich auch in Holland, England, Dänemark, das heißt überall dort erkundigen, wo Hanf verarbeitet und Schiffe ausgerüstet werden. Wir dachten schon, eine Plastiklasche ›Corde de Chanvre‹ könne weiterhelfen – aber das ist nur eine Warenbezeichnung.«
»Spricht für französischsprachiges Ausland.«
»Leider nein. Im Supermarkt gibt es Stricke aus deutscher Produktion mit der gleichen Aufschrift.«
»Na also.«
»Nix also. Die paar deutschen Firmen stellen keine Abschleppseile her; ich habe mich erkundigt. Sie beliefern auch keine Hersteller von Autozubehör.«
»Pech! Aber dafür wissen wir, wer das Fahrzeug hergestellt hat.«
»Ha, ha, was sind wir schlau, Herr Kommissar.«
»Hoffentlich auch schlau genug, eine Quelle für Abschleppseile im Ausland aufzutreiben. Aber bevor wir uns damit verzetteln, sollten wir ausloten, was vor Ort zu tun ist.«
»Den Flensburger Computer abfragen und das BKA.«
»Schon, aber wir wissen zuwenig über das Auto«, stellte Lupus fest.
Freiberg strich sich mit den mittleren drei Fingern der linken Hand mehrmals über die Stirn. »Wir müssen uns über zwei Komplexe klarwerden: Was war das für ein Selbstmord im Stammunternehmen von Korbel? – Noch wichtiger scheint mir aber die Abklärung des privaten Umfeldes.«
»Du meinst seine Frauengeschichten.«
»Wenn schon Mauser davon Wind bekommen hat, müssen wir sehr schnell versuchen, mehr zu wissen als er. Was haben wir bisher im Körbchen?«
Lupus überlegte nicht lange. »Verwaltungsdirektor Seukler deutete private Beziehungen zwischen Korbel und Nikols an.«
»Richtig, Nikols bestätigt sie, stellt aber gleichzeitig fest, daß man Korbel nicht zum Freund haben könne.«
»Er versucht zwar, das als Rivalitätskämpfe zwischen Wissenschaftlern darzustellen, aber…«
»Kurz drauf läßt er die Katze aus dem Sack: ›Wenn er Freunde hatte, war er hinter deren Frauen her‹…«
»…und wilderte in fremden Revieren«, fuhr Lupus fort.
Freiberg sah auf. Er kannte die Antwort auf seine jetzt fällige Frage: »Und wen nehmen wir uns als nächsten vor?«
»Die Frau, zuerst immer die Frau«, kam prompt die Antwort.
»Ja, morgen werden wir der Firma für Investitionsberatung und Koordination einen Besuch abstatten und uns Frau Nikols zur Brust nehmen.«
»Nicht schon wieder Intimitäten im Amt«, meinte Lupus. »Ich bin viel mehr auf ihre Haarfarbe gespannt.«
9
Der für die Fahndung so entscheidende erste Tag nach der Tat hatte noch keine konkreten Ergebnisse gebracht. Die Ermittlungen waren »angeleiert« – mehr nicht. Dieser unbefriedigende Zustand hatte die Mitarbeiter des 1. K. wie auf ein geheimes Kommando bereits um sieben Uhr im Präsidium zusammengetrieben. Fräulein Kuhnert kam als letzte.
»Den Kaffee ziehen wir noch in Ruhe rein«, sagte Kommissar Freiberg. »Was melden die Blätter?«
Lupus hatte wie üblich auf dem Weg von Bad Godesberg zum Präsidium seinen Stoß Zeitungen eingekauft: Express, General-Anzeiger, Bonner Rundschau und Bild. Mausers Anfütterung war gelungen. Auch soweit die Berichte nicht aus seiner »Feder« stammten, gingen die Spekulationen in Richtung Mord. Die aufgeworfenen Fragen nach dem Auto und dem Abschleppseil würden ganz gewiß eine Flut von Anrufen auslösen
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