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Sphaerenmusik

Sphaerenmusik

Titel: Sphaerenmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarete Friedrich
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festgesetzt worden. Meine Tränen rührten meinen Vater nicht. Er betonte, dass sein Freund sehr reich sei, und als Vater habe er das Recht, meinen Mann zu bestimmen... Es ist Nacht. Habe mich mit Pierre im Pavillon getroffen. Er war verzweifelt und ich ebenfalls. Wir herzten und küssten uns, machten Fluchtpläne und verwarfen sie wieder. Wovon sollen wir leben? Er, der arme französische Haus- und Musiklehrer meiner Tante, und ich, die Geflohene!
    Harleigh, den 29.4.1858. Nun bin ich in Ha rleigh, wo ich geboren wurde. Alles ist mir hier fremd. Die dicken Mauer erdrücken mich, und die große Empfangshalle macht mir Angst mit den vielen Tierköpfen und Waffen an den Wänden. Das Personal besteht fast nur aus rauen, unfreundlichen Männern. Meine Zofe heißt Anne, ist siebzehn Jahre alt und hat genau solche Angst vor meinem Vater wie ich. Ebenso wie unser kleiner Puck, der Spaßmacher meines Vaters. Er ist zwanzig Jahre alt, hat aber die Größe eines vierjährigen Kindes und ist verwachsen.
     
    Harleigh, den 30.4.1858. Heute habe ich meinen Verlobten kennen gelernt. Er ist mindestens sechzig Jahre! Er sagte zu mir: „Willkommen, meine holde Braut!“, und griff nach meinem Gesicht, um mich zu küssen, aber ich stemmte mich voller Ekel gegen ihn. Mein Vater schimpfte: „Daran wirst du dich gewöhnen müssen.“
    „Niemals!“, schrie ich, riss mich los und lief d avon. Kurz darauf kam mir Vater nach. Er sagte mir, sollte ich ihn noch einmal so blamieren, werde er mir mit Schlägen das Glück begreiflich machen, dass mich der reichste Mann der ganzen Umgebung zu seiner Frau machen will.“
     
    Harleigh, den 2.5.1858. Nein, ich kann diesen Menschen nicht heiraten! Ich schrieb einen Brief an Pierre, legte etwas Geld hinein, das mir noch Tante Anabel geschenkt hatte, und bat ihn, zu mir zu kommen, um mir bei der Flucht zu helfen. Anne besorgte den Brief.
    Harleigh, den 10.7.1858. Die Hochzeitsvorre itungen sind im vollen Gange, das Hochzeitskleid ist fertig, und ich spiele die gehorsame Braut trotz allem Abscheu vor meinem Verlobten, nur damit mein Vater von meinen Fluchtplänen nichts ahnt. Aber ich komme um vor Angst, dass Pierre nicht mehr rechtzeitig hier ist.
    Harleigh, den 11.7.1858. Heute rief mich Vater in die Bibliothek, um mir den Schmuck meiner Mutter zu zeigen, weil ich mich ihm als eine geho rsame Tochter erwiesen habe. Er werde mir an meinem Hochzeitstage gehören. Aufmerksam sah ich ihm zu, wie er das Geheimfach in seinem Schreibtisch öffnete, denn da der Schmuck meiner Mutter sowieso mein Eigentum ist, wäre damit meine Flucht und ein Leben mit Pierre gesichert. Mein Vater freute sich über mein Interesse und legte den Schmuck wieder sorgfältig zurück.
    Harleigh, den 19.7.1858. Ich weiß mich vor Glück kaum zu fassen, er ist endlich da! Unten am Wildbach haben wir uns in der Nacht getroffen. Ich ging durch den Geheimgang hinunter. Ich gab P ierre mein letztes Geld, damit er die Pferde besorgen kann. Anne kann ich nicht zurücklassen, da mein Vater erraten würde, dass sie mir bei der Flucht geholfen hat. Übermorgen werden wir durch den Geheimgang entfliehen. Pierre wird unten am Wildbach mit den Pferden auf uns warten.
    Harleigh, den 22.7.1858. Alles ist aus! Nun sitze ich hier am Fenster, zerschlagen, gefangen im Turm, denn alle Türen nach außen sind versperrt. Während ich schreibe, fallen meine Tränen auf die Zeilen. Meine einzige Freundin Anne habe ich auch verloren. Sie ist aus dem Schloss hinausg epeitscht worden. Was aus Pierre geworden ist, daran wage ich nicht zu denken. Zuerst ging alles so gut.
     
    Gestern nach Mitternacht schlichen wir uns zur Bibliothek, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Ich ging zum Schreibtisch, öffnete das Geheimfach, leerte die Etuis und stopfte den Schmuck in eine Jagdtasche. Dann schloss ich die leeren Etuis wieder zu, damit es so aussah, als wenn der Schmuck noch vorhanden sei. Nachdem ich auch das Fach verschloss, gingen wir zur Kapelle. Dort erlebten wir eine Überraschung. Puck stand vor der Tür! Er hatte uns belauscht und wollte unbedingt mit. So stiegen wir drei in den Geheimgang hinab. Anne zog mit Hilfe des Rades den Altar wieder über die Öffnung zurück. Ich hatte inzwischen eine der Fackeln angebrannt, die wir mitgenommen hatten... Anne riss den schweren Riegel beiseite und zog die Eisentür auf, und wir erstarrten.
     
    Kein Tosen des Wildbaches war zu hören, kein Pierre zu sehen, denn eine Mauer bis zur Decke schloss beides aus.

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